Ein grauer Aprilmorgen in Zwickau: Zwischen wuchtigen Betonpfeilern ragt das tonnenförmige Dach der ehemaligen HORCH-Auslieferungshalle in den Himmel. Einst rollten hier die edlen Automobile der Horsch-Werke aus der Halle – heute zeugen bröckelnder Putz und zugewachsene Zufahrten von wechselvollen Jahrzehnten.
Geburtsstunde einer stützenfreien Halle
1908 ließen die Horsch-Werke nahe dem Bahnhof Zwickau zwei Hallen errichten, deren Architektur Maßstäbe setzte: Die gewölbten Dachkonstruktionen, abgeleitet aus den Junkers-Hallen, ermöglichten einen stützenfreien Innenraum von fast 1 000 Quadratmetern. Kunden parkten ihre fabrikneuen Horsch-Pkw in Reih und Glied, stiegen ein und fuhren direkt hinaus – ein prächtiges Symbol für Fortschritt und Ingenieurskunst.
Umbau unter DDR-Flagge
In den 1970er Jahren nahm der VEB Sachsenring das Gebäude in seine Obhut. Unter Leitung des Bauingenieurs Jochen Trommer hob man die gesamte Halle an, fügte eine neue Geschossdecke ein und verdoppelte so die Nutzfläche. Diese technische Meisterleistung ist bis heute an den verstärkten Stützenkonstruktionen und den neuen Stahlprofilen zu erkennen. Mit dem Aufsetzen einer zweiten Ebene entstand Platz für Büros, Werkstätten und die berühmte Politklinik Sachsenring, die sich später an der Rückseite anschmiegte.
Alltagskunst am Bauwerk
Wer heute die Fassade umrundet, stößt auf Relikte künstlerischer DDR-Tradition: Glasbausteine, die als improvisierte Fenster dienten, und in die Wand eingelassene Tonfragmente – Überreste einer Abschlussarbeit eines jungen Designers. Aus Fickenscherrohren, einst im Zwickauer Steinzeugwerk gefertigt, schufen er und Mitarbeiter der Tischlerei des VEB Sachsenring gebogene Holzlatten-Sitzbänke. Mit Kunststoffdübeln und handgefertigten Schraubverbindungen entstand so eine kleine Outdoor-Lounge, an die heute nur noch ein verblasstes Foto erinnert.
Vom Klubhaus zum Event-Ort
Seit den frühen 1990er Jahren firmiert das Ensemble unter dem Namen „Klubhaus Sachsenring“ und beherbergt ein wechselndes Programm: von Plattenbörsen über Tanzveranstaltungen bis hin zu kleineren Konzerten. Im großzügigen Foyer, dessen metallene Doppeltür noch direkt zum Saal führt, lagerten einst Weltniveau-Cocktails. Heute zeugen verblasste Trabant-Logos und das verbliebene Sachsenring-Zeichen von nostalgischen Tagen.
Zwischen Verfall und Denkmalchance
Gleichzeitig zeugen abgeblätterter Putz, zugemüllte Seiteneingänge und überwucherte Pergolen vom langen Leerstand mancher Bereiche. Anwohner und Denkmalpfleger diskutieren derzeit, ob eine Unterschutzstellung als Industriedenkmal möglich ist. Ein geplantes Sanierungskonzept sieht vor, die charakteristische Dachkonstruktion zu restaurieren und die historische Innenstatik zu sichern. Auch die originalen Holztüren aus der Tischlerei des VEB Sachsenring sollen erhalten und künstlich aufgearbeitet werden.
Mehr als ein Jahrhundert nach seiner Errichtung steht das Klubhaus Sachsenring erneut an der Schwelle zu einem Wandel: Zwischen Nostalgie und Zukunftsvision könnten die Hallen bald wieder ein Ort für Kultur, Handwerk und Begegnung werden – ganz im Geiste jener Pionierleistung, die 1908 begann.