Giftiges Erbe – Wie Bitterfeld zum Symbol der DDR-Umweltpolitik wurde

Bitterfeld, Herbst 1989. Der Himmel ist grau, der Boden schwer von Chemie. Die Stadt am Rand der damaligen Bezirksgrenze zwischen Halle und Leipzig gilt als einer der dreckigsten Orte Europas. In den Bächen fließen Giftbrühen, die Luft ist beißend, der Boden kontaminiert. Und mittendrin: Heidi Mühlenberg, damals 29 Jahre alt, Journalistin aus Leipzig. Sie will wissen, was wirklich los ist in Bitterfeld.

„Es war unwirtig und schockierend“, sagt sie heute. Bei einem Besuch in der Kleingartensiedlung „Am Busch“, wo früher ein Bach mit Industrieabwässern an den Gärten vorbeifloss, erinnert sie sich an die Aufnahmen, die sie 1989 heimlich gemacht hatte. Damals recherchierte sie unter hohem Risiko. Filmaufnahmen, Interviews mit Betroffenen – alles streng verboten. Und doch notwendig.

„Das Wasser war dunkelgrau, es stank fürchterlich. Wir haben später herausgefunden, dass hier täglich bis zu 14 Kilogramm Quecksilber durchflossen“, berichtet Mühlenberg. Die Anwohner? Viele hätten sich längst an den Gestank gewöhnt. Besonders erschütternd: In ihren Recherchen stieß sie auf medizinische Studien, die bereits in den 1980er Jahren auf gesundheitliche Schäden bei Kindern hinwiesen – verzögertes Knochenwachstum, auffällig kleiner Brustumfang, Atemwegserkrankungen wie Bronchitis und Asthma. Die Ergebnisse verschwanden jedoch in den Schubladen der Amtsärzte.

Ihr Buch Panikblüte. Bitterfeld-Report erzählt von diesen Missständen. Es ist auch ein Stück Zeitgeschichte – ein Zeugnis darüber, wie die DDR-Umweltpolitik nicht nur Natur, sondern auch Menschenleben aufs Spiel setzte. „Die Ärzte haben sich damals nicht mit Ruhm bekleckert“, so Mühlenberg. „Es gab Warnzeichen. Aber niemand wollte Verantwortung übernehmen.“

Ein Ort des Schreckens war auch die Deponie „Freiheit 3“. Hier wurde Chemieabfall einfach in die Landschaft gekippt – tonnenweise Giftstoffe unter freiem Himmel. Mühlenberg ging damals heimlich über das Gelände, sprach mit Werksangehörigen, stellte Fragen, die keiner hören wollte. Sie war nicht allein: Menschen wie Ingrid Schreier, eine couragierte Bürgerin aus Bitterfeld, unterstützten sie. In langen Gesprächen diskutierten sie über die Chancen der Friedlichen Revolution, über Aufbruch und Resignation.

Ein Symbol für den Zustand der Region war die Gottsche – ein stillgelegter Tagebau, dessen Staub ganze Dörfer einhüllte. „Die Menschen forderten jahrelang, dass der Tagebau geflutet wird. Doch niemand hörte ihnen zu“, sagt Mühlenberg. Heute liegt dort ein See – ein leiser Sieg für eine Region, die lange Zeit keine Stimme hatte.

Mehr als 30 Jahre später ist Bitterfeld-Wolfen kaum wiederzuerkennen. Das ehemalige Chemie-Kloakenland hat sich gewandelt. Biotope entstanden, die Industrie wurde saniert, Teile der Umwelt konnten gerettet werden. Doch die Wunden von damals bleiben. Und mit ihnen die Erinnerung an Journalistinnen wie Heidi Mühlenberg, die nicht wegsahen.

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