Fährschiff Sassnitz und der Glasbahnhof – Ein Tag, der Geschichte schrieb

Am sonnigen Tag der Jungfernfahrt 1959 bot sich in der DDR ein spektakuläres Schaufenster technischer und logistischer Meisterleistungen. Unter den wachsamen Augen der Presse und zahlreicher Gäste erlebte das Publikum in Sassnitz, wie Geschichte geschrieben wurde – ein Tag, der bis heute in Erinnerung bleibt.

Technik, Stolz und Fortschritt
Im Fokus des Ereignisses stand die namhafte Fährverbindung zwischen dem Festland und Schweden. Bereits Wochen zuvor hatte der Bau des Eisenbahn-Fährschiffes Sassnitz für Aufsehen gesorgt: Mit 7000 Tonnen schwerem Rumpf, 40 Güterwagen-Tragfähigkeit und Platz für 888 Passagiere verkörperte das Schiff den Stolz einer ganzen Nation. In der Rostocker Neptun-Werft gefertigt und über ein Vierteljahr vor der geplanten Fertigstellung in Dienst gestellt, galt das Schiff als Symbol des technischen Fortschritts und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der DDR.

Ein maritimes Schauspiel und bahnrechnerischer Glanz
Die Fahrt des Fährschiffes war inszeniert wie ein gut choreografiertes Ballett: Während die Seebad Binz, ein modernes Motorschiff mit 41 Metern Länge und Platz für 300 Urlauber, zu seiner Jungfernfahrt antrat, erwachte die Ostseeküste zu neuem Leben. Die Passagiere, darunter zahlreiche Journalisten und Augenzeugen, erlebten, wie sich das Schiff zielsicher in Bewegung setzte – mit einer Geschwindigkeit von 20 Seemeilen pro Stunde, die die Distanz von Küste zu Küste im Nu überbrückte.

Parallel dazu wurde der in Sassnitz neu erbaute Fährbahnhof feierlich eingeweiht. Der innovative Bahnhof, der nicht nur als Übergangspunkt für Reisende – etwa auf der Route Basel–Berlin–Sassnitz–Stockholm – diente, beeindruckte mit seiner praktischen Konstruktion: Eine schwenkbare Auffahrt ermöglichte den direkten Transfer von Autos in den Schiffsleib. Hier traf Technik auf Benutzerfreundlichkeit, was das Konzept der intermodalen Mobilität bereits vor Jahrzehnten eindrucksvoll demonstrierte.

Würdigung der Tradition und internationale Begegnungen
Die Feierlichkeiten waren reich an Symbolik und Tradition. Minister Erwin Kramer, Vertreter des Verkehrsministeriums, übergab das Schiff feierlich seiner Mannschaft – ein Akt, der nicht nur den Stolz der DDR, sondern auch den nationalen Fortschrittsgeist unterstrich. Auf dem Schiff waren auch hochrangige Gäste anwesend: Neben dem Oberbürgermeister von Berlin, Friedrich Ebert, lud auch die Anwesenheit des Generaldirektors der schwedischen Staatsbahnen, Uppmark, zu einem besonderen Moment der Verbundenheit zwischen den Nationen ein.

Als krönenden Höhepunkt der Reise stimmte das schwedische Schwesterschiff Trelleborg die Staatshymne der DDR an, während von der Sassnitz die Nationalhymne Schwedens erklang. Dieses musikalische Duett, begleitet vom eleganten Rundkurs des alten Fährschiffes Drondning Victoria, verlieh dem Ereignis einen feierlichen Rahmen – ein symbolischer Austausch, der die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern besiegelte.

Ein Tag im Spiegel der Zeit
Der Tag in Sassnitz, der auch als Wiederbelebung der Fährverbindung zwischen den Kontinenten nach Kriegsende in Erinnerung bleibt, war ein eindrucksvolles Zeugnis des Bestrebens, den Handel und den Personenverkehr zwischen Skandinavien und der DDR zu fördern. Die feierliche Jungfernfahrt, die man als Wiedergeburt einer wichtigen Verbindungslinie interpretieren kann, stand sinnbildlich für den Optimismus und die Innovationskraft einer ganzen Epoche.

Mit der erfolgreichen Veranstaltung an diesem Tag wurde nicht nur ein neues Kapitel im Bereich des maritimen und intermodalen Verkehrs aufgeschlagen, sondern auch ein Beitrag zur Vereinheitlichung von Wirtschaft und Kultur zwischen Ost und West geleistet. In einem Moment, der so flüchtig wie bedeutend war, wurde der „Fahrtwind des Friedens“ konkret spürbar – ein Gefühl, das über Generationen hinweg nachhallt.

In einer Zeit, in der technische Wunder und zwischenstaatliche Zusammenarbeit ebenso den Fortschritt vorantrieben wie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, erinnert uns der Tag der Jungfernfahrt der Sassnitz daran: Es sind diese Meilensteine, die Geschichte formen und unvergessliche Momente schaffen.

Anzeige
Beitrag finden? Einfach die Suche nutzen!