Am 4. Februar 1990, mitten in den Umbrüchen der Wendezeit, gründete sich in Ost-Berlin die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) – die direkte Nachfolgerin der SED, die vier Jahrzehnte lang das politische Machtmonopol in der DDR innehatte. Wenige Monate später, am 18. März 1990, trat die PDS erstmals bei gesamtdeutschen Wahlen an – mit Gregor Gysi als Spitzenkandidat. Ein fragmentarischer Mitschnitt einer damaligen Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus ist jetzt wieder zugänglich geworden und erlaubt einen seltenen Blick in die Innenwelt der jungen Partei.
Der Ton ist rau, ehrlich, mit einem Schuss Selbstironie. „Sie stellen fest, wie immer klappt bei der PDS nicht alles“, eröffnet Gysi die Runde – der Pressesprecher sei noch nicht da, also übernehme er den Job einfach selbst. Es sind Sätze, die mehr sagen als viele offizielle Wahlprogramme. Sie zeigen eine Partei, die sich ihrer schwierigen Ausgangslage bewusst ist, die mit ihrer Vergangenheit ringt und zugleich einen Platz im neuen demokratischen Deutschland sucht.
Gysi tritt an diesem Tag gemeinsam mit den PDS-Politikerinnen Christiane Reymann und Marlies Deneke auf. Die Atmosphäre wirkt angespannt, aber bemüht um Kontrolle. „Ich habe mich nie dazu hinreißen lassen, das [die Geschichte mit der SPD] zu missbrauchen für den Wahlkampf“, sagt Gysi. Der Jurist weiß um die Belastung durch die SED-Vergangenheit, auch um das Misstrauen im Westen – und er begegnet beidem mit einem feinen Balanceakt zwischen Selbstkritik und politischem Selbstbewusstsein.
Trotz alledem formuliert Gysi eine klare Vision: Der Einzug in den Bundestag sei das Ziel. Auf die Frage nach seinem „Wunschergebnis“ antwortet er schmunzelnd: „48 Prozent – das bedeutet, dass wir nicht regieren können, aber die anderen doch beachtlich ärgern.“ Realistisch sei das nicht, gibt er zu – „aber jedes Ergebnis, das uns in den Bundestag bringt, wäre ein beachtlicher Erfolg.“
Tatsächlich gelingt der PDS bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember 1990 der Einzug ins Parlament – wenn auch nur knapp mit 2,4 Prozent und über drei Direktmandate. Es ist der Anfang eines langen politischen Weges, der 2007 mit dem Zusammenschluss zur Linkspartei einen neuen Namen und später neue Erfolge bringt – aber stets begleitet bleibt vom Schatten der Vergangenheit.
Der nun veröffentlichte Mitschnitt aus dem Karl-Liebknecht-Haus dokumentiert diesen historischen Moment mit seltenem O-Ton. Er zeigt einen jungen Gregor Gysi, der schon damals ein Gespür für Worte, Wirkung und Widersprüche hatte – und der mit leiser Ironie und klarer Strategie versuchte, aus der Erblast der DDR eine neue politische Kraft zu formen.