Rainer Eppelmann zur Arbeitsatmosphäre in der Volkskammer 1990

Im März 1990 stand die DDR an einem historischen Wendepunkt. Die Volkskammer, das einzige frei gewählte Parlament des Staates, musste nicht nur grundgesetzverändernde Entscheidungen treffen, sondern tat dies unter einem enormen öffentlichen Druck – live übertragen und von Hunderttausenden Bürgern verfolgt. In einem aufschlussreichen Interview erinnert Rainer Eppelmann, ein Zeitzeuge dieser bewegten Tage, an die außergewöhnlichen Bedingungen und den Wandel, der damals den politischen Alltag bestimmte.

Live im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit
Eppelmann beschreibt eindrücklich, wie die täglichen Sitzungen der Volkskammer zu einem öffentlichen Spektakel wurden.

„Wir standen ja auch nur unter einem unvorstellbaren Druck, dass es live, die gesamten Volkskammer-Sitzungen sind live übertragen worden.“
Die unmittelbare Präsenz einer gigantischen Zuschauerschaft zwang die Abgeordneten dazu, jede Entscheidung bewusst und unter enormer Beobachtung zu treffen. Dies verlieh den Diskussionen und Beschlüssen eine zusätzliche Schwere, die den politischen Entscheidungsprozess nachhaltig beeinflusste.

Große Koalition als Notwendigkeit
Lothar de Maizière, der erste und letzte demokratisch gewählte Ministerpräsident der DDR, erkannte frühzeitig die Herausforderungen, die mit dem schnellen Wandel einhergingen. Anstatt auf eine kleinere, möglicherweise unübersichtliche Koalition zu setzen, entschied man sich für eine große Koalition.
„Er sagte, wir haben so viele grundgesetzverändernde Entscheidungen zu treffen in den nächsten Monaten“, erinnert sich Eppelmann. Diese Entscheidung sollte gewährleisten, dass alle relevanten Kräfte im Parlament an einem Strang zogen. Der damit verbundene Kompromissgedanke war zentral: Es galt, trotz unterschiedlicher politischer Hintergründe rasch gemeinsame Lösungen zu finden, um die staatlichen Grundlagen neu zu ordnen.

Der Wandel der Arbeitskultur
Ein wesentlicher Aspekt des Interviews ist die Beschreibung des tiefgreifenden Wandels in der Arbeitskultur der Volkskammer. Viele Abgeordnete waren bereits vor der Wende in der politischen Landschaft der DDR verankert – oftmals aus den Reihen der alten Machtstrukturen.
„Die haben sich natürlich total umstellen müssen. Vorher musstest du ja nicht arbeiten. Du gingst doch überhaupt kein Risiko ein.“
Plötzlich bedeutete Politik in der neuen Ära harte Arbeit, intensive Vorbereitung und das ständige Austarieren von Interessen. Dieser Wandel war nicht nur eine Frage der Arbeitsmethodik, sondern auch eine grundlegende Umorientierung im Hinblick auf Verantwortung und Risikobereitschaft.

Ein Erbe der legislatorischen Spitzenleistung
Trotz des enormen Drucks gelang es dem Parlament, eine beeindruckende Anzahl von Gesetzen zu verabschieden – teilweise mit weitreichenden grundgesetzlichen Veränderungen. Eppelmann hebt hervor, dass diese Leistung beispiellos war und auch heute noch kaum zu übertreffen sei.
Die historischen Entscheidungen, die unter diesen schwierigen Bedingungen getroffen wurden, prägten maßgeblich den Übergang der DDR in ein demokratisches System und legten den Grundstein für die Wiedervereinigung.

Das Interview mit Rainer Eppelmann bietet einen faszinierenden Einblick in eine der turbulentesten Phasen der jüngeren deutschen Geschichte. Unter dem ständigen Blick der Öffentlichkeit und in einem Klima, das von Unsicherheit und gleichzeitig enormem Tatendrang geprägt war, entstand ein politischer Prozess, der den Wandel der Arbeitskultur im Parlament unwiderruflich veränderte. Diese bewegte Zeit mahnt nicht nur an die Herausforderungen des Umbruchs, sondern zeugt auch von der außerordentlichen Fähigkeit, sich in einem historischen Moment zu besinnen und gemeinsam den Weg in eine neue Zukunft zu ebnen.

Autor/Redakteur/IT-Chronist: Arne Petrich
Kontakt per Mail: coolisono@gmail.com

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