Wolfgang Schäuble über die Regelungen zu den Stasi-Unterlagen im Einigungsvertrag

Im Jahr 2022 gab Wolfgang Schäuble, der in den Jahren 1989 bis 1990 als Bundesminister des Innern maßgeblich an den Weichenstellungen der deutschen Wiedervereinigung beteiligt war, ein aufschlussreiches Interview. In diesem Gespräch beleuchtet er eindringlich die Regelungen zu den Stasi-Unterlagen im Einigungsvertrag – ein Thema, das bis heute die Debatten um Vergangenheitsbewältigung und Rechtsstaatlichkeit prägt.

Schäuble erinnert sich an die Zeit des Umbruchs, als Deutschland vor der enormen Aufgabe stand, eine gespaltene Nation wieder zusammenzuführen. „Wir haben gesagt, nee, komm, die Stasi-Akten, wir haben jetzt andere Sorgen. Der Umbruch war für die Menschen groß genug. Lass uns mal damit nicht jetzt die Kriege der Vergangenheit führen“, betont er mit Nachdruck. Diese Aussage unterstreicht, dass in jenen bewegten Tagen der Fokus nicht allein auf der Aufarbeitung der Vergangenheit lag, sondern vor allem auf den drängenden Herausforderungen des Neuanfangs in einem vereinten Deutschland.

Im ursprünglichen Entwurf des Einigungsvertrages fand der Umgang mit den Stasi-Unterlagen zunächst keine Berücksichtigung. Die Volkskammer der DDR, die die unmittelbaren Folgen der Überwachung und Repression hautnah erlebt hatte, forderte jedoch eindringlich eine gesonderte Regelung. Schäuble erinnert sich: „Das war ja auch im Einigungsvertrag, im ersten Entwurf war das nicht drin. Und dann hat die Volkskammer gesagt, das muss aber anders werden. Dann habe ich auch gesagt, ja, wenn die das so wollen, dann müssen wir das natürlich – das bestimmen die.“ Hier wird deutlich, wie stark die historischen Erfahrungen der DDR-Bürger in den politischen Entscheidungsprozess einflossen.

Ein zentraler Aspekt des Interviews ist die praktische Umsetzung dieser Regelungen. Die Einrichtung der GAUG-Behörde und die Berufung von Joachim GAUG als Stasi-Aktenbeauftragter im vereinten Deutschland waren dabei von entscheidender Bedeutung. Schäuble erläutert: „Er hat auch immer voller Respekt gesagt, dass er völlig überrascht gewesen ist, dass der Innenminister, der eigentlich formal sein Vorgesetzter war, niemals im Geringsten versucht habe, irgendeinen Einfluss zu nehmen. Ja klar, so ist eben rechtsstaatliche Demokratie. Und wir haben uns daran gehalten.“ Diese Schilderung hebt die Bedeutung unabhängiger Institutionen hervor und verdeutlicht, wie der politische Konsens und der Respekt vor rechtsstaatlichen Prinzipien den Umgang mit den sensiblen Stasi-Unterlagen maßgeblich bestimmten.

Die Reflexionen Schäubles aus dem Jahr 2022 zeigen auch, wie sehr sich die Perspektiven auf die Vergangenheit im Laufe der Zeit verändert haben. „Und daraus ist etwas geworden, was ich damals mir hätte so nicht vorstellen können. Nämlich, dass wir jetzt in einer Weise – sicherlich mit deutscher Perfektion – eine Diktatur in ihrer bürokratischen Lächerlichkeit, aber eben auch in der deutschen Präzision aufarbeiten. Und das hat natürlich auch historisch eine ungeheure Bedeutung“, so Schäuble weiter. Mit diesen Worten unterstreicht er, dass der Prozess der Vergangenheitsaufarbeitung nicht nur ein politischer Kompromiss, sondern ein langfristiger, zukunftsweisender Transformationsprozess war.

Besonders prägnant wirkt Schäubles Hinweis darauf, dass die Ergebnisse dieses Prozesses nicht allein auf das Wirken einzelner Politiker – wie ihm selbst oder Helmut Kohl – zurückzuführen sind. „Insofern haben wir da etwas zustande gebracht. Und das war nicht das Verdienst der damaligen Bundesregierung. Das war nicht mein Verdienst, auch nicht das von Helmut Kohl, das muss man sagen. Aber wir haben dann immerhin gesagt, ja gut, wenn ihr das so wollt, dann machen wir das. Und das funktioniert ja gut“, resümiert er. Diese kollektive Leistung, getragen vom demokratischen Willen und dem unerschütterlichen Glauben an rechtsstaatliche Prinzipien, bildete den Grundstein für den erfolgreichen Umgang mit einem der belastendsten Kapitel deutscher Geschichte.

Das Interview von 2022 liefert nicht nur einen historischen Rückblick, sondern auch wertvolle Impulse für den aktuellen Umgang mit politisch sensiblen Themen. Es zeigt, dass die Regelungen zu den Stasi-Unterlagen im Einigungsvertrag weit über eine reine vertragliche Festlegung hinausgehen. Sie symbolisieren den Mut, auch schwierige und schmerzhafte Kapitel der Geschichte offen zu bearbeiten – und dabei stets den Blick nach vorne zu richten.

Wolfgang Schäubles Ausführungen erinnern daran, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit immer in einem größeren gesellschaftlichen Kontext zu sehen ist. Der politische Kompromiss, der damals gefunden wurde, zeugt von der Fähigkeit einer Nation, trotz tiefer historischer Wunden einen Weg in Richtung Versöhnung und Fortschritt zu finden. Dieses Interview, das im Jahr 2022 erschien, liefert somit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der komplexen Dynamiken, die den Weg zu einem wiedervereinigten und demokratischen Deutschland geebnet haben.

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Autor/Redakteur/KI-Journalist: Arne Petrich
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