Chemnitz heute: Europäische Kulturhauptstadt 2025

Chemnitz- Stadt der ungesehenen Schönheit

Mit einem Sack voller Vorurteile kam Laura Stephan vor vier Jahren nach Chemnitz. Die ERF-Redakteurin hatte kaum Erwartungen an die Stadt, die oft als Symbol für Niedergang, Deindustrialisierung und soziale Probleme gesehen wird. Doch entgegen ihrer ursprünglichen Skepsis wurde sie von Chemnitz und seinen Menschen regelrecht in den Bann gezogen. Heute kann sie sich kaum noch von dieser Stadt am Rande des Erzgebirges losreißen. In ihrem Film „C the unseen – entdecke das Ungesehene“ begibt sich Stephan auf eine Reise, um Chemnitz und seine verborgenen Schätze sichtbar zu machen. Sie porträtiert Menschen, die das Besondere an dieser Stadt erkannt haben und ihre Potenziale ausschöpfen.

Chemnitz ist geprägt von Brüchen und Rissen, aber auch von Mut, Tatendrang und einer einzigartigen Mischung aus Geschichte und Moderne. In ihrem Film begegnet Laura Stephan einer Vielzahl von Persönlichkeiten, die Chemnitz aktiv mitgestalten. Darunter sind Doro und Jens Tuffner, die mit ihrer Möbelgalerie einen besonderen Ort der Begegnung geschaffen haben, Jörg vom Bandbüro und Adrian von der Band Meniak, die sich für die lokale Musikszene engagieren, sowie Josua Schulze, Pastor des Blessings, der sich für benachteiligte Jugendliche einsetzt. Auch Kulturhauptstadtpfarrer Holger Bartsch und Theresa Seifert gehören zu den Protagonisten, die zeigen, wie vielfältig und kreativ Chemnitz ist.

Die Stadt hat eine lange und bewegte Geschichte. Sie entstand um eine Benediktinerabtei, die vor rund 800 Jahren gegründet wurde. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Chemnitz zu einer bedeutenden Industriestadt, insbesondere im Bereich der Textilproduktion. Zeitweise hatten die Bürger der Stadt das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen in Europa. Doch der Zweite Weltkrieg hinterließ tiefe Spuren: In der Bombennacht vom 5. März wurde ein großer Teil der Stadt zerstört. Nach dem Krieg wurde Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umbenannt und in sozialistischer Planmanier wieder aufgebaut. Die Innenstadt wurde dabei weitgehend aufgegeben, anders als in Leipzig oder Dresden, wo Rekonstruktionsmaßnahmen ergriffen wurden. Nach der Wende setzte eine erneute Phase des Wandels ein: Während Geld in die Region floss und neue Bauprojekte entstanden, verließen viele junge Menschen die Stadt aufgrund der Deindustrialisierung der 1990er Jahre. Diese Entwicklung führte zu einer tiefen Krise, aber auch zu einem Raum für neue Ideen und alternative Projekte.

Heute ist Chemnitz die Europäische Kulturhauptstadt 2025. Mit dem Motto „C the unseen – entdecke das Ungesehene“ soll genau das sichtbar gemacht werden, was vielen verborgen bleibt: die kreative, widerstandsfähige und vielfältige Seite der Stadt. Laura Stephans Film greift dieses Motto auf und zeigt, wie Menschen in Chemnitz ihre Stadt aktiv gestalten. So gibt es zahlreiche kulturelle und kreative Initiativen, die jungen Talenten eine Plattform bieten. Radio T, ein alternativer Radiosender, unterstützt regionale Musiker und Künstler. Die Musikszene der Stadt ist breit gefächert und zeichnet sich durch eine große Vernetzung und Publikumsnähe aus. Viele Musiker kennen sich untereinander, es gibt zahlreiche Kooperationen und eine lebendige Subkultur.

Neben der Musikszene spielt auch die Architektur und Stadtentwicklung eine zentrale Rolle im Film. Chemnitz ist eine Stadt der Kontraste: Hier finden sich Industriebauten aus dem 19. Jahrhundert, Plattenbauten aus DDR-Zeiten und moderne Neubauten auf engstem Raum. Das alte Heizungsgebäude eines Industriebetriebs wurde in einen Ausstellungsraum umgewandelt, in dem alte Architektur mit modernen Elementen kombiniert wird. In einem Hinterhof befindet sich eine originalgetreue Nachbildung des Labyrinths von Chartres, die als kultureller Veranstaltungsort dient. Doro und Jens Tuffner haben aus einer ehemaligen Baubrache nicht nur ein Möbelhaus, sondern auch einen Ort der Begegnung geschaffen, in dem regelmäßig kulturelle Events stattfinden. Schönheit, Harmonie und Ordnung stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit – nicht nur in ihren Produkten, sondern auch in ihrer Stadt.

Doch der Film zeigt nicht nur die schönen Seiten von Chemnitz. Er geht auch auf soziale Herausforderungen ein. Der Stadtteil Sonnenberg, ein ehemaliger Arbeiterbezirk, ist ein Beispiel für die Gegensätze, die in Chemnitz aufeinandertreffen. Hier gibt es sowohl wohlhabende als auch arme Menschen, es gibt soziale Probleme, aber auch eine starke kreative und kulturelle Szene. Josua Schulze, Pastor des Blessings, setzt sich für vernachlässigte Kinder und Jugendliche ein. Er möchte ihnen zeigen, dass sie wertvoll sind und eine Perspektive haben. Auf dem Blessingplatz kommen Menschen aus verschiedenen Lebensrealitäten zusammen. Die Heilsarmee bietet hier warme Mahlzeiten für Bedürftige an. Doch auch Themen wie Obdachlosigkeit und Drogenprobleme werden nicht ausgeklammert.

Die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 wird von vielen als große Chance gesehen. Es geht darum, das wahre Gesicht von Chemnitz zu zeigen und die Vielfalt und Kreativität der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Doch nicht alle sind von der Kulturhauptstadt begeistert. Einige sehen die Initiative kritisch und befürchten, dass das Projekt nur für Außenstehende gemacht wird, anstatt die bestehenden Strukturen zu stärken. Laura Stephan zeigt in ihrem Film beide Seiten: die Euphorie und das Misstrauen gegenüber dem Projekt. Wichtig sei es, nicht nur auf das Neue zu schauen, sondern auch auf das, was bereits da ist – auf die Menschen, die Chemnitz schon lange prägen und die Stadt durch ihr Engagement lebendig machen.

Die Menschen in Chemnitz sind bodenständig, ehrlich und direkt. Sie haben gelernt, mit den Brüchen ihrer Stadt umzugehen, sie sogar als Chance zu begreifen. Viele, die Chemnitz einst verlassen haben, kehren zurück, weil sie das Potenzial der Stadt erkannt haben. Sie engagieren sich für ihre Stadt, gestalten sie aktiv mit und setzen sich für eine positive Veränderung ein. Es gibt ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das sich in den vielen kulturellen, sozialen und künstlerischen Initiativen widerspiegelt.

Laura Stephans Film „C the unseen – entdecke das Ungesehene“ ist eine Liebeserklärung an Chemnitz, die ihre eigene Entwicklung als Spiegel für die Stadt nutzt. Von anfänglichen Vorurteilen bis hin zur tiefen Faszination für Chemnitz nimmt sie die Zuschauer mit auf eine visuell beeindruckende Reise. Ihr Film zeigt, dass Chemnitz eine Stadt voller Möglichkeiten ist – eine Stadt, die ihre Narben trägt, aber genau darin ihre Schönheit und Stärke findet. Die Ernennung zur Kulturhauptstadt 2025 ist nicht nur ein Titel, sondern eine Gelegenheit, das Ungesehene sichtbar zu machen und neue Perspektiven zu eröffnen. Der Film macht deutlich, dass Chemnitz mehr ist als sein Ruf – es ist eine Stadt, die sich immer wieder neu erfindet und durch ihre Menschen lebendig bleibt.

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