Das Interview, das Bodo Ramelow gemeinsam mit Mike Langer (Altenburg TV) und Maik Schulz (Oscar am Freitag-TV) führte, bietet einen umfassenden Rückblick auf seine zehnjährige Amtszeit als Ministerpräsident von Thüringen und reflektiert sowohl seine Erfolge als auch die Herausforderungen, mit denen er konfrontiert war. Ramelow, der seine Amtszeit bald beenden wird, äußerte sich dabei auch selbstkritisch und nahm Stellung zu politischen Entscheidungen, die Thüringen in den letzten Jahren geprägt haben.
Verantwortung und Demokratie
Zu Beginn des Gesprächs hob Ramelow die grundlegende Bedeutung der Demokratie hervor. Er erklärte, dass Demokratie für ihn nicht nur eine politische Struktur, sondern ein kontinuierlicher Prozess sei, der Verantwortung und den Übergang von Macht beinhaltet. Eine der zentralen Lehren, die er während seiner Amtszeit gezogen habe, sei, dass Politiker irgendwann abtreten müssen, um Platz für neue Ideen und Impulse zu machen. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit habe er sich auf das mögliche Ausscheiden aus dem Amt vorbereitet und eine klare Übergabe an seinen Nachfolger organisiert. Dies sei nicht nur eine Frage politischer Verantwortung, sondern auch ein Ausdruck des Respekts gegenüber der Demokratie und den Wählern.
Arbeitsstil und Erfolge der ersten Amtszeit (2014-2019)
Ramelow selbst beschreibt seinen Arbeitsstil als pragmatisch und themenorientiert. Er legte großen Wert darauf, Lösungen zu finden, die jenseits von ideologischen und parteipolitischen Differenzen lagen. Für ihn stehe immer das Problem im Vordergrund, und nicht die Auseinandersetzung mit politischen Gegnern. Er betonte, dass Vertrauen und Transparenz eine entscheidende Rolle spielten, um in der Politik handlungsfähig zu bleiben und Lösungen zu finden, die den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden.
In seiner ersten Amtszeit von 2014 bis 2019 nannte Ramelow insbesondere die verbesserte Finanzierung der Kommunen als einen wichtigen Erfolg. Gerade ländliche Regionen hätten von den erhöhten Zuschüssen profitiert, was eine Verbesserung der Infrastruktur und der Lebensqualität mit sich brachte. Ein weiterer Erfolg war die Einführung der Beitragsfreiheit für Kindergärten in Thüringen, bei der zwei von drei Jahren kostenfrei gestellt wurden. Dies sei nicht nur für die Familien ein Gewinn gewesen, sondern auch für die Bildungseinrichtungen, die durch die erhöhte Zahl an Kindern gestärkt wurden. Zudem unterstützte Ramelow die regionale Entwicklung und förderte Projekte zur Stärkung des ländlichen Raums sowie des regionalen Mittelstands.
Herausforderungen und Entscheidungen in der zweiten Amtszeit
Die zweite Amtszeit von Ramelow, die von 2019 bis 2024 dauerte, war von zahlreichen Herausforderungen geprägt. Besonders hervorzuheben sind die Corona-Pandemie und die umstrittene Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten im Jahr 2020. Im Rückblick auf die Pandemie räumte Ramelow ein, dass in der Anfangsphase nicht alle Entscheidungen optimal getroffen wurden. Dennoch betonte er, dass es wichtig sei, die Fehler zu benennen und daraus zu lernen. Für künftige Krisen müsse ein klarer Maßnahmenplan entwickelt werden, der auf den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie basiere.
Ein weiteres Schlüsselerlebnis in der zweiten Amtszeit war die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten, die mit den Stimmen der AfD zustande kam. Diese Wahl löste eine politische Krise sowohl in Thüringen als auch in der Bundesrepublik aus. Ramelow kritisierte Kemmerichs Entscheidung, nach seiner Wahl keine Minister zu berufen und stattdessen zurückzutreten. Er bezeichnete dieses Verhalten als verantwortungslos, da es das Vertrauen in den demokratischen Prozess schwer erschüttert habe.
Die Minderheitsregierung und der politische Kampf
Trotz der politischen Krise nach der Kemmerich-Wahl führte Ramelow die Thüringer Regierung als Minderheitsregierung weiter. Dies stellte eine große Herausforderung dar, da in einer solchen Konstellation politische Mehrheiten häufig schwer zu erzielen sind. Ramelow verteidigte jedoch die Entscheidung, eine Minderheitsregierung zu bilden, und hob hervor, dass es trotz der schwierigen politischen Bedingungen möglich war, bedeutende politische Erfolge zu erzielen. So wurden insgesamt 146 Gesetze und Verordnungen verabschiedet, was Ramelow als Beweis für die Handlungsfähigkeit der Regierung wertete.
Die Arbeit in der Minderheitsregierung sei nicht nur durch die politische Lage erschwert worden, sondern auch durch die Fragmentierung der parlamentarischen Mehrheiten. Dennoch sei es ihm wichtig gewesen, stets im Interesse der Bevölkerung zu handeln und notwendige Reformen voranzutreiben.
Migrationspolitik und der Aufstieg der AfD
Ein weiteres zentrales Thema des Gesprächs war die Migrationspolitik und der Aufstieg der AfD. Ramelow verteidigte Angela Merkels Entscheidung, 2015 die Grenzen für Geflüchtete zu öffnen. Aus seiner Sicht gab es keine wirkliche Alternative zu dieser Entscheidung, da eine Schließung der Grenzen unweigerlich dazu geführt hätte, dass Menschen in Lebensgefahr geraten wären. Die moralische Verantwortung habe für ihn Vorrang gehabt.
Er kritisierte jedoch die Art und Weise, wie in Deutschland über Asyl und Migration diskutiert werde. Die Debatte sei oft von populistischen Parolen und einer eingeengten Sichtweise geprägt. Ramelow plädierte für legale Zuwanderungswege und eine stärkere Integration von Zuwanderern, vor allem durch die Möglichkeit, über Arbeit einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Die AfD, so Ramelow, sei ein Produkt dieser Polarisierung. Er kritisierte die einfachen Parolen der Partei und forderte eine klare Auseinandersetzung mit deren demokratiegefährdenden Positionen.
Bekämpfung des Faschismus und die Zukunft der Demokratie
Ramelow äußerte auch seine Bedenken hinsichtlich des zunehmenden Rechtsextremismus und des Aufstiegs des Faschismus. Er sprach sich für eine aktive Bekämpfung des Faschismus aus und forderte die Aufnahme einer antifaschistischen Klausel ins Grundgesetz. Der Aufstieg der AfD und die zunehmend verbalen Ausfälle in politischen Debatten seien für ihn Alarmsignale, die nicht ignoriert werden dürften.
Persönliche Reflexion und Ausblick
Am Ende des Gesprächs gab Ramelow auch persönliche Einblicke in seine Amtsführung. Er räumte ein, dass er in einigen Situationen autoritär gehandelt habe, was er jedoch mit dem Ziel der schnellen Problemlösung in Krisenzeiten rechtfertigte. Das Ziel sei immer gewesen, Lösungen zu finden, und manchmal sei dies nur auf einem unkonventionellen Weg möglich gewesen. Ramelow beschrieb sich selbst als jemanden, der mit solchen unkonventionellen Lösungen oft „Freunde und Feinde verdutzt“ habe, was für ihn jedoch ein Zeichen von Kreativität und Pragmatismus war.
Trotz der Herausforderungen und der schwierigen politischen Zeit betonte Ramelow, dass er eine tiefe Verbundenheit mit Thüringen und seiner Bevölkerung empfinde. Auch in Zukunft wolle er die Interessen des Landes vertreten – sei es als Ministerpräsident oder in einer anderen Funktion. Abschließend erklärte er, dass die Demokratie immer verteidigt werden müsse und er bereit sei, einen Beitrag dazu zu leisten, Thüringen als Modell für verantwortungsvolle und fortschrittliche Politik zu positionieren.
Dieses Interview bietet einen tiefen Einblick in die Sichtweise von Bodo Ramelow auf die politische Lage in Thüringen und Deutschland, auf die Herausforderungen seiner Amtszeit und auf die Zukunft der Demokratie.