Joana Mallwitz, eine der führenden Dirigentinnen unserer Zeit, wandte sich im Berliner Konzerthaus an ihr Publikum – mit einer Rede, die weit über die Grenzen des Konzertsaals hinausreicht. Sie griff John Cages 4’33 als Ausgangspunkt auf, um über die Bedeutung von Musik und Kultur in Zeiten der Krise zu sprechen. Cages Werk, das aus viereinhalb Minuten bewusst komponierter Stille besteht, stand im Zentrum eines Abends, der geprägt war von der Besorgnis über die angekündigten Kürzungen im Berliner Kulturbereich.
Eine Mahnung vor der drohenden Stille
Mallwitz betonte, dass die Stille in John Cages Stück nicht nur ein künstlerisches Konzept sei, sondern in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen als Mahnung verstanden werden könne. Wenige Tage zuvor hatte der Berliner Senat angekündigt, ab Januar 2025 massive Kürzungen im Kulturbereich vorzunehmen. Diese Einschnitte bedrohen nicht nur die Existenz zahlreicher kultureller Institutionen, sondern auch die Vielfalt und Reichweite des kulturellen Angebots in der Hauptstadt.
Mit eindringlichen Worten warnte Mallwitz vor den Konsequenzen: „Wir müssen uns fragen, für welche Zukunft wir sparen, wenn diese Zukunft so still ist.“ Die geplanten Kürzungen, so erklärte sie, seien existenzbedrohend für Programme und Projekte, die in der Kulturarbeit unverzichtbar sind. Festivals wie „Projections“ wurden bereits abgesagt, Nachwuchsförderprojekte wie die Akademie des Konzerthauses stehen auf der Kippe, und weitere Einschnitte werden unvermeidlich sein.
Kultur als verbindendes Element
Doch Mallwitz’ Rede war nicht nur eine Mahnung, sondern auch ein leidenschaftliches Plädoyer für die Kraft der Kultur, Menschen zu verbinden. Sie hob hervor, dass Musik und Kunst einzigartige Räume schaffen, in denen Menschen unabhängig von politischen Ansichten, sozialen Hintergründen oder Glaubensrichtungen zusammenkommen können.
„Musik vereint uns in der Empfindung des Menschlichen,“ sagte sie. „Ganz egal, wie groß oder unüberbrückbar die Differenzen im realen Leben auch scheinen.“ Diese verbindende Kraft, so Mallwitz, sei in einer Zeit, die von gesellschaftlichen Spaltungen und Krisen geprägt ist, von unschätzbarem Wert.
Die Stille als Ausgangspunkt
John Cages 4’33 erhielt an diesem Abend eine doppelte Bedeutung: Es wurde einerseits zu einem Symbol für die Gefahr, die entsteht, wenn Kultur verstummt. Andererseits diente die Stille als Ausgangspunkt für Hoffnung und Erneuerung. Mallwitz betonte, dass Stille nicht das Ende der Musik bedeuten müsse, sondern der Anfang. „Die Stille kann ein Ausgangspunkt sein für Ideen, für Neugierde, für Entwicklung.“
Diese Perspektive spiegelt auch ihren Glauben an die Resilienz und Kreativität der Kulturszene wider. Trotz der angekündigten Kürzungen versprach sie, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen mit noch mehr Herzblut musizieren werden, um das kulturelle Erbe nicht nur zu bewahren, sondern auch weiterzuentwickeln.
Ein Aufruf an die Gesellschaft
Mallwitz’ Rede war gleichzeitig ein Appell an das Publikum und die Gesellschaft insgesamt. Sie rief dazu auf, Konzerte zu besuchen, Freunde und Familie mitzunehmen und die Bedeutung des gemeinsamen kulturellen Erlebens weiterzutragen. „Kommen Sie in Konzerte, bringen Sie Ihre Nachbarn mit. Erzählen Sie es weiter!“
Dieser Appell zielte nicht nur darauf ab, die kulturelle Teilhabe zu fördern, sondern auch darauf, das Bewusstsein für die Bedeutung von Kultur als gesellschaftlichem Gut zu stärken. Sie hob hervor, dass Kultur nicht nur ein Luxus sei, sondern ein wesentlicher Bestandteil des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der gemeinsamen Identität.
Kultur als unverzichtbarer Schatz
Abschließend erinnerte Mallwitz an die historische Bedeutung der europäischen Musikkultur, die über Jahrhunderte gewachsen ist und nicht nur ein Symbol der Vergangenheit, sondern ein lebendiger Schatz ist, den es zu schützen gilt. Sie forderte dazu auf, langfristige Werte über kurzfristige finanzielle Entscheidungen zu stellen: „Haben wir wirklich diese Orte von nicht einmal einer Generation nach Krieg und Zerstörung wieder aufgebaut, um sie jetzt erstummen zu lassen?“
Joana Mallwitz: Eine Stimme der Hoffnung und Verantwortung
Joana Mallwitz nutzte die Bühne nicht nur, um ihre Besorgnis auszudrücken, sondern auch, um Hoffnung zu geben. Sie erinnerte daran, dass Kultur lebt, solange sie erlebt wird – und dass Musik nur dann existiert, wenn sie erklingt und gehört wird.
In einer Zeit, in der die Herausforderungen groß und die Ressourcen knapp sind, bleibt die Kultur ein unverzichtbarer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Mallwitz’ Rede war ein eindringliches Plädoyer dafür, die Kultur nicht nur zu bewahren, sondern aktiv zu verteidigen und weiterzutragen – für uns heute und für kommende Generationen.
Mit ihren Worten und ihrer Musik setzt Joana Mallwitz ein starkes Zeichen dafür, dass Kultur nicht nur ein Ausdruck menschlicher Kreativität ist, sondern ein Fundament, auf dem Gemeinschaft, Dialog und Hoffnung wachsen können.