Umweltzerstörung in der DDR

Umweltzerstörung. Folge 6 von „Backstage DDR“ – Eine Videoreihe der Bundesstiftung Aufarbeitung

Stell dir vor, du lebst in einem Land, in dem deine Wäsche grau wird, nachdem du sie draußen zum Trocknen aufgehängt hast. Ein Land, in dem es im Winter überall nach verbrannter Kohle stinkt, die Flüsse tot und von giftigem Schaum bedeckt sind, und die Bäume nur noch als kahle Stängel in der Landschaft stehen. Diese Horrorgeschichte ist kein fiktionales Szenario, sondern Realität für viele Menschen in der DDR. Doch wie konnte es dazu kommen? Ein Blick hinter die Kulissen der sozialistischen Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik zeigt, dass der Traum von einer besseren Welt für alle im Schatten massiver Umweltzerstörung und Misswirtschaft stattfand.

Die DDR: Ein Land im Kampf um Legitimation
Seit ihrer Gründung 1949 kämpfte die DDR mit einem großen Problem: Sie konnte nie wirklich die politische Legitimation bei der Bevölkerung erreichen. Das Regime der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war ständig mit dem Versuch beschäftigt, die Menschen von der Richtigkeit des sozialistischen Systems zu überzeugen. Doch die politische Propaganda war nur ein Teil des Plans. Um die Bevölkerung bei Laune zu halten, musste die DDR im Bereich des Lebensstandards und Konsums überzeugen. Das bedeutete Wachstum und Industrieproduktion um jeden Preis. Schornsteine, die den Himmel verdunkelten, wurden dabei als Symbole dieser Politik verwendet. Der Lärm und die Abgase aus den unzähligen Fabriken prägten das Bild vieler Regionen, vor allem in den industriellen Zentren der DDR.

Im Westen jedoch, besonders ab den 1970er Jahren, entstand ein wachsendes Umweltbewusstsein. Der Kapitalismus hatte eine Kehrseite, doch die DDR blieb, von der Regierung bis zu ihrem Ende, von massiver Umweltverschmutzung geprägt. Während westliche Länder begannen, grüne Ideen zu entwickeln, in denen Ökologie eine Rolle spielte, blieben Umweltfragen in der DDR weitgehend unbeachtet – oder wurden als zweitrangig behandelt.

Industrialisierung und Umweltzerstörung: Das Beispiel Bitterfeld
Nehmen wir das Beispiel der Papier- und Zellstoffherstellung. Die Herstellung von Papier und Zellstoff war ein zentrales Element der DDR-Industrie. Doch der Preis für dieses wirtschaftliche Wachstum war hoch. Nach der Produktion von Zellstoff blieb eine furchtbare Brühe übrig, die als Ablauge bezeichnet wird. Diese giftige Flüssigkeit wurde in die sogenannten Silberse geleitet – ein Stausee in Bitterfeld, der als Abwasserentsorgungsstelle diente. Diese Grube war nicht mehr als eine gigantische Mülldeponie für die toxischen Abwässer der Papierfabriken. Doch das war nicht alles. Die Abwässer wurden ungeklärt in Flüsse und die Ostsee gepumpt, mit katastrophalen Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt.

Ein weiteres dramatisches Beispiel für die Umweltzerstörung war die Braunkohlenutzung. Die DDR war stark auf Braunkohle angewiesen, um ihre Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Doch die Verbrennung von Braunkohle hatte gravierende Auswirkungen auf die Umwelt. Sie setzte enorme Mengen an Schadstoffen wie Staub, Schwefeloxide und Stickoxide frei, die die Luft und das Klima belasteten. Besonders die Region zwischen Halle und Leipzig war von dieser Verschmutzung betroffen. Fabriken und Kraftwerke waren in einem Umkreis von Dutzenden Kilometern angesiedelt, und die Luft war so belastet, dass viele Menschen gesundheitliche Probleme hatten. „Meine Mutter hat gehustet von früh bis spät“, erinnert sich ein ehemaliger Bewohner der Region. Der Arzt empfahl der Familie sogar, wegzuziehen.

Ein Land der Rohstoffknappheit
Ein weiteres grundlegendes Problem der DDR war die ständige Rohstoffknappheit. Nur die absolut notwendigsten Ressourcen wurden auf dem internationalen Markt eingekauft. Wo es möglich war, versuchte die DDR, einheimische Rohstoffe vollständig abzubauen. Doch dieser Raubbau hatte gravierende Folgen. Besonders der Uranabbau hinterließ gewaltige Schäden an Natur und Menschen. Uranbergwerke wie die in der Lausitz und im Erzgebirge verschmutzten nicht nur das Wasser, sondern hinterließen auch radioaktive Rückstände, die noch Jahrzehnte später das Leben der Menschen beeinträchtigten.

Doch der schlimmste Fall von Ressourcenabbau betraf die Braunkohle. Der Tagebau für Braunkohle zerstörte riesige Landschaften. Dörfer wurden abgerissen, um Platz für die Kohlegruben zu schaffen. Die Menschen in den betroffenen Gebieten mussten umgesiedelt werden. Der Verlust von Lebensraum und die Verschmutzung von Wasserquellen waren die Folgen dieses hemmungslosen Abbaus.

Der Umweltminister und die SED: Ökologie bleibt Nebensache
Trotz der massiven Umweltzerstörung versuchte die Regierung der DDR, die Problematik herunterzuspielen. Der Thüringer Wald und die Ostsee wurden als unberührte Paradiese präsentiert, in denen sich die Bevölkerung erholen konnte. Die SED versuchte, das Bild eines intakten, umweltfreundlichen Landes zu vermitteln. In Wahrheit war jedoch das genaue Gegenteil der Fall. Ein zentrales Instrument der DDR war die staatliche Kontrolle über alle Medien. Es gab keine freien, unabhängigen Presseorgane, die die negativen Auswirkungen der Industrialisierung anprangern konnten. Stattdessen wurde die Bevölkerung mit einem verzerrten Bild der Realität versorgt.

Erst 1972, nach internationaler Kritik, richtete die DDR ein Umweltministerium ein. Doch die politischen und wirtschaftlichen Prioritäten blieben unverändert. Die Ökonomie hatte stets Vorrang vor der Ökologie. Selbst als im Westen bereits auf die Gefahren von Umweltzerstörung hingewiesen wurde, versuchte die DDR, sich selbst als Vorreiter im Umweltschutz darzustellen. „Das war alles nur Show“, erinnert sich ein ehemaliger Umweltexperte, „die Daten wurden entweder manipuliert oder verschwanden einfach.“

Tschernobyl: Ein Wendepunkt für die Umweltpolitik
Ein besonders dramatisches Ereignis, das die Umweltproblematik der DDR verdeutlichte, war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986. Die radioaktive Wolke, die sich nach der Explosion des Reaktors in der Ukraine ausbreitete, traf auch die DDR. Tausende von Kilometern Land wurden kontaminiert, und die Bevölkerung war gezwungen, mit den Folgen zu leben. Doch auch hier versuchte die Regierung, die Situation zu verharmlosen. Es wurde keine transparente Kommunikation betrieben, und die Bevölkerung wurde nur unzureichend über die Gefahren informiert.

„Es war einfach ein Skandal“, sagt ein ehemaliger Bürgerrechtler. „Die Menschen wussten, dass etwas nicht stimmte, aber die Regierung tat so, als wäre alles in Ordnung.“

Der Wendepunkt: Die Umweltbewegung und die Friedliche Revolution
Die Umweltzerstörung in der DDR trug dazu bei, dass sich in den 1980er Jahren eine oppositionelle Bewegung formierte. Die Umweltbewegung wurde zu einem wichtigen Teil der politischen Opposition. In vielen Städten und Dörfern wuchsen Gruppen, die sich für den Umweltschutz einsetzten und gleichzeitig politische Veränderungen forderten. Diese Gruppen organisierten Veranstaltungen und sammelten inoffizielle Informationen, auch aus dem Westen. Die Umweltbewegung wurde schließlich zu einem der zentralen Pfeiler der Friedlichen Revolution 1989.

Mit dem Ende der DDR 1989 und dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems begann sich die Umweltlage langsam zu verbessern. In den 1990er Jahren wurden Milliarden schwere Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, um die schlimmsten Umweltschäden der DDR zu beseitigen. Doch der Weg zur Heilung war lang und schwierig, und viele der Schäden an Natur und Gesundheit sind noch heute spürbar.

Umwelt als zentrale Aufgabe der Zukunft
Die Geschichte der DDR und ihrer Umweltprobleme zeigt eindrucksvoll, wie sehr die wirtschaftliche und politische Ideologie die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigen kann. Der Unterschied zwischen der propagierten Ideologie und der tatsächlichen Realität war eklatant. Die DDR bot ihren Bürgern weder eine saubere Umwelt noch eine gesunde Lebensweise.

Nach dem Ende des sozialistischen Experiments wurde der Umweltschutz in der ehemaligen DDR zu einer der größten Herausforderungen. Doch auch heute noch sind viele der alten Umweltprobleme nicht vollständig gelöst. Der Schutz unserer Umwelt bleibt eine Aufgabe, die uns alle betrifft, unabhängig von politischer Ausrichtung oder geographischer Lage. Es ist eine Aufgabe, die wir nicht länger aufschieben dürfen – für uns und für zukünftige Generationen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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