Unsere Einheit, unser Weg – Mit Pablo Himmelsbach & Albert Münzberg

Unsere Einheit, unser Weg mit Pablo Himmelsbach & Albert Münzberg

In einer zunehmend globalisierten Welt, in der die historischen und kulturellen Brüche der Vergangenheit immer noch spürbar sind, stellt sich immer wieder die Frage nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit. Für viele, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und der Geschichte von besonderer Bedeutung. Ein Gespräch mit Pablo Himmelsbach und Albert Münzberg, zwei jungen Menschen, die in den 1990er Jahren geboren wurden und die Zeit der deutschen Teilung nur aus Erzählungen kennen, verdeutlicht die Herausforderungen und Chancen, die sich in einer post-sozialistischen Gesellschaft auftun.

Die Identifikation mit der ostdeutschen Geschichte
Albert Münzberg, 1997 geboren, spricht offen über seine Wahrnehmung von „Ost“ und „West“. Er betont, dass er sich selbst als „Ostdeutschen“ versteht, da seine Sozialisierung eindeutig ostdeutsch geprägt wurde. Diese Identifikation hat jedoch nicht nur mit geografischen Grenzen zu tun, sondern auch mit einer tief verwurzelten kulturellen und sozialen Prägung, die die Menschen im Osten auch heute noch beeinflusst. Albert betont, dass er zwar „ostdeutsch“ aufgewachsen ist, aber dennoch nie so weit gehen würde, zu sagen „Mein Name ist Albert und ich bin ostdeutsch“. Es ist eine Identifikation, die vor allem durch das Lebensgefühl und die Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, geprägt ist.

Sein familiärer Hintergrund ist ein Spiegelbild der ostdeutschen Geschichte: Die Mutter kommt aus dem Osten, der Vater aus dem Westen. Diese zwei unterschiedlichen Perspektiven prägten ihn schon früh und machten ihn auf die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland aufmerksam. Albert erinnert sich daran, wie Erwachsene in seiner Umgebung über „Wessis“ spotteten, sich lustig machten oder sie herabsetzten. Diese Erlebnisse machten ihm bewusst, dass es eine Differenz gibt, die sich nicht nur in wirtschaftlichen und politischen Unterschieden zeigt, sondern auch in der Wahrnehmung und im täglichen Leben.

Für ihn ist das Leben im Osten aber nicht nur von Nostalgie oder einer trüben Vergangenheit geprägt. Vielmehr beschreibt er das „Lebensgefühl“ als eine Mischung aus Freiheit und der Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen. In seiner Heimatstadt, die ihn stets als Raum für Kreativität und Entfaltung begleitete, wurde ihm oft eine „riesige Bühne“ geboten – sowohl durch die Stadtverwaltung, als auch durch die lokale Musikszene. Hier spiegelt sich in der Musik ein ganz eigenes Bild wider. Die Lieder erzählen nicht nur von der Idylle des Dorflebens, sondern auch von der Tristesse und der Verlorenheit, die viele in einer sich wandelnden Gesellschaft empfinden. Es ist die Vielschichtigkeit der Geschichten und Erfahrungen, die Albert als typisch für das Leben im Osten empfindet.

Der erste Kontakt mit der wirtschaftlichen Realität
Eine prägende Erfahrung in Alberts Leben war der erste Kontakt mit den wirtschaftlichen Ungleichgewichten zwischen Ost und West, den er im Rahmen seiner Berufsausbildung machte. In der Berufsschule kam ein Vertreter der IG Bau zu einem Vortrag, der die Auszubildenden über Tarifverträge und Löhne aufklärte. Der Moment, als er und seine Mitschüler erfuhren, dass sie für die gleiche Arbeit weniger Geld verdienen als ihre westdeutschen Kollegen, war ein Augenöffner. Albert beschreibt diesen Moment als den Zeitpunkt, an dem ihm zum ersten Mal bewusst wurde, was es bedeutet, in Ostdeutschland zu leben. „Das bedeutet irgendwie, ostdeutsch zu sein“, sagt er, „einfach weil ich hier lebe, bekomme ich weniger Geld.“ Dies war ein Moment der Frustration, aber auch eine Erkenntnis, die ihn dazu brachte, die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland auf einer viel tieferen Ebene zu begreifen.

Dieser wirtschaftliche Unterschied war nicht nur ein finanzielles Ungleichgewicht, sondern auch ein Zeichen der unvollständigen Einheit und der schwierigen Übergangsphase nach der Wende. Albert hatte zuvor noch nie bewusst darüber nachgedacht, dass die geografische Grenze, die einst das Land teilte, nach wie vor tiefe wirtschaftliche und soziale Spuren hinterlassen hatte.

Die Herausforderung der Eigeninitiative
Albert spricht auch darüber, wie schwer es vielen Menschen, besonders der älteren Generation, fällt, Verantwortung zu übernehmen und Eigeninitiative zu zeigen. Die Erfahrungen der DDR waren von einer Kultur geprägt, in der der Staat vieles regelte und bestimmte, was für die Menschen notwendig war, um ein funktionierendes Leben zu führen. In einer Zeit des Übergangs, in der der Staat nicht mehr als Garant für das gesellschaftliche Leben fungiert, fällt es den Menschen schwer, Eigeninitiative zu entwickeln.

„Es ist nicht der Staat, der dafür sorgt, dass du in den Schachclub gehst oder in den Club, dass du dich mit den Landfrauen triffst oder Projekte machst. Das bist du“, erklärt Albert. Er sieht es als eine der größten Herausforderungen an, den Menschen klarzumachen, dass sie selbst für ihre Zukunft verantwortlich sind. Diese Erkenntnis ist jedoch nicht einfach zu vermitteln, besonders in einer Region, in der viele Menschen es gewohnt waren, dass der Staat vieles regelt und sie daher weniger dazu ermutigt wurden, ihre eigenen Ideen zu entwickeln und zu verwirklichen.

Dieser Prozess der Selbstverwirklichung fällt vielen Menschen schwer, da sie in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, die eine starke soziale Kontrolle hatte und wenig Raum für persönliche Entfaltung ließ. Für viele Ostdeutsche war es schwer zu verstehen, dass sie nicht nur passiv darauf warten sollten, dass sich ihre Lebenssituation verbessert, sondern dass sie selbst aktiv werden mussten.

Der Umgang mit der Vergangenheit und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung
Ein weiteres Thema, das Albert in diesem Gespräch anspricht, ist der Umgang mit der Vergangenheit und der schwierige Prozess, der mit der Aufarbeitung der deutschen Geschichte und der Teilung verbunden ist. Besonders für die ältere Generation, die den sozialistischen Staat noch selbst erlebt hat, ist dieser Prozess von großer Bedeutung. Viele haben durch ihre Vergangenheit, insbesondere durch die Stasi und den Überwachungsstaat, eine Bürde zu tragen, die auch auf die nachfolgenden Generationen übergeht.

Albert betont, dass es wichtig sei, über die deutsch-deutsche Geschichte zu sprechen, um die Sichtweisen beider Seiten zu verstehen. Dabei hebt er hervor, dass es nicht nur darum geht, die „bösen Wessis“ zu kritisieren, sondern auch zu verstehen, dass der Westen mit einem völlig anderen System und einer völlig anderen Lebensweise kam, als die Menschen es im Osten kannten. Die Wende und der Übergang in das kapitalistische System wurden nicht nur von vielen als Verlust erlebt, sondern auch als Überforderung. Besonders die Menschen, die in der DDR keine Erfahrungen mit Marktwirtschaft und Privatbesitz gemacht hatten, fanden sich in einer neuen Welt wieder, die sie nicht verstanden.

Albert spricht mit Empathie und Verständnis über diesen schwierigen Prozess und stellt fest, dass es wichtig ist, gemeinsam an einer Zukunft zu arbeiten, die nicht mehr von Misstrauen und Vorurteilen geprägt ist. „Wir können alle etwas voneinander lernen“, sagt er. Der Dialog zwischen Ost und West sei von entscheidender Bedeutung, um die geteilte Geschichte zu überwinden und eine gemeinsame, zukunftsfähige Identität zu entwickeln.

Die Zukunft ohne Misstrauen und Vorurteile
Albert und Pablo teilen die Hoffnung, dass die Gesellschaft eines Tages ohne die nach wie vor bestehenden Vorurteile und das Misstrauen zwischen Ost- und Westdeutschland leben kann. Sie wünschen sich eine Zukunft, in der die Unterschiede anerkannt, aber nicht mehr als Trennlinien zwischen den Menschen betrachtet werden. Sie betonen, dass der Dialog über die Probleme und die Vergangenheit nicht nur dazu dient, alte Wunden zu lecken, sondern auch dazu, die Fehler der Vergangenheit zu verstehen und gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten.

„Ich wünsche mir eine Zukunft ohne gegenseitiges Misstrauen, ohne Vorurteile, die aber auch klar benennt, was die Probleme sind“, sagt Albert zum Abschluss des Gesprächs. Dies sei der Weg, den es zu gehen gilt – nicht in der Vergangenheit zu verharren, sondern mit einem offenen Blick nach vorn zu schauen. Die Anerkennung der gemeinsamen Geschichte, das Lernen voneinander und das Überwinden der alten Barrieren ist der Schlüssel zu einer echten Einheit und einer solidarischen Gesellschaft.

Das Gespräch zwischen Pablo Himmelsbach und Albert Münzberg bietet einen tiefen Einblick in die Erfahrungen und Perspektiven der Generation, die nach der Wiedervereinigung aufgewachsen ist. Es zeigt die Herausforderungen, die mit der Überwindung der alten Grenzen und der Schaffung einer gemeinsamen Identität verbunden sind, aber auch die Chancen, die sich durch einen offenen Dialog und das gegenseitige Verständnis bieten. Nur wenn wir uns gemeinsam mit der Geschichte auseinandersetzen, können wir eine Zukunft ohne Vorurteile und Misstrauen aufbauen und als Gesellschaft stärker und vereinter daraus hervorgehen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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