Die Ökonomin und Wirtschaftsministerin in der Modrow-Regierung Christa Luft erinnert sich an die bewegte und bewegende Zeit in den Jahren nach 1989. Sie stellt fest, dass es heute einen anderen Blick auf die DDR und die damaligen Ereignisse gibt. «Ich habe nie zu denen gehört, die beschönigt haben, was in der DDR war. Aber mich pausenlos bombardieren lassen zu müssen mit Dingen, die sich früher oder später sowieso als falsch erwiesen, von den Anwürfen, das ging mir auch ab», so Luft. Als einstige Wirtschaftsministerin der Modrow-Regierung spricht sie ausführlich über die Treuhandpolitik und deren Folgen.
Das Interview mit Christa Luft, der ehemaligen Wirtschaftsministerin der DDR, bietet tiefgehende Einblicke in ihre Perspektiven zur Wendezeit und den damit verbundenen ökonomischen sowie politischen Herausforderungen. Luft kritisiert insbesondere die einseitige Fokussierung auf die ökonomischen und politischen Missstände der DDR, besonders in der Nachwendezeit. Sie hebt hervor, dass die Menschen im Osten einer psychologischen Belastung ausgesetzt waren, da sie mit der pauschalen Abwertung ihrer Lebenswelt konfrontiert wurden. Luft plädiert für eine differenzierte Betrachtung, die sowohl die positiven Aspekte des Lebens in der DDR als auch die Schwierigkeiten der Integration in die Bundesrepublik berücksichtigt.
Mangelwirtschaft und Reformversuche
Die häufige Bezeichnung der DDR-Wirtschaft als „Mangelwirtschaft“ sieht Luft als unzutreffend an. Zwar räumt sie ein, dass es Mängel gab, jedoch hält sie die gesamte Wirtschaft nicht für defizitär. Ihrer Ansicht nach hätte eine flexiblere Preispolitik Angebot und Nachfrage besser ausgleichen können. Sie verweist auf Reformbestrebungen, wie das „Neue Ökonomische System“ der 1960er Jahre, das auf Gewinnbeteiligung und mehr Eigenverantwortung der Unternehmen abzielte. Diese Initiativen scheiterten jedoch an der Starrheit des Systems und der Angst der SED vor einem Machtverlust.
Die Rolle der Akkumulationsrate
Ein zentrales Problem der DDR-Wirtschaft identifiziert Luft in der niedrigen Akkumulationsrate, insbesondere im produktiven Bereich. Die unzureichenden Investitionen in die Erneuerung des Produktionsapparats führten zu veralteten Maschinen und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Trotz der schwierigen Bedingungen zollt sie den Menschen Respekt, die mit diesen Maschinen beachtliche Leistungen erbrachten.
Initiativen zur Wirtschaftsreform
Als Rektorin der Hochschule für Ökonomie initiierte Luft Arbeitsgruppen, die Reformvorschläge erarbeiteten, um die Wirtschaft der DDR zu modernisieren. Diese Studien empfahlen unter anderem eine stärkere Orientierung an Marktmechanismen und eine Abkehr von der zentralisierten Planung, stießen jedoch auf Ablehnung im SED-geführten Staatsapparat.
Die Modrow-Regierung und der Runde Tisch
In der Übergangsregierung unter Hans Modrow übernahm Luft das Amt der Wirtschaftsministerin. Sie setzte sich für die Rückgabe enteigneter privater Betriebe, die Schaffung eines GmbH-Gesetzes und die Erleichterung von Joint Ventures ein, um die Wirtschaft von unten zu beleben. Dabei lobt sie die Rolle des Runden Tisches, der zur politischen Stabilisierung beitrug und einen realistischen Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ermöglichte. Gleichzeitig erlebte sie Widerstände gegen die Reformen, sowohl aus Teilen der DDR-Bevölkerung als auch aus der Bundesrepublik.
Die Treuhandanstalt: Von der Idee zur Umsetzung
Die Gründung der Treuhandanstalt, die ursprünglich von Oppositionsgruppen vorgeschlagen wurde, betrachtet Luft ambivalent. Sie begrüßt die Intention, das Volksvermögen im Interesse der Ostdeutschen zu verwalten. In der Umsetzung kritisiert sie jedoch die Priorisierung der Privatisierung vor der Sanierung, den Zeitdruck, die mangelnde Transparenz und die fehlende Einbindung der ostdeutschen Bevölkerung.
Die Rolle der Bundesregierung
Luft hebt den starken Einfluss der Bundesregierung auf die Gestaltung der Treuhandanstalt und den gesamten Transformationsprozess hervor. Sie kritisiert die Übernahme westdeutscher Strukturen ohne Rücksicht auf die spezifische Situation der DDR-Wirtschaft sowie die mangelnde Bereitschaft, ostdeutsche Unternehmen zu unterstützen und zu modernisieren.
Zusammenfassung
Insgesamt zeichnet Christa Luft ein differenziertes Bild der Wendezeit und der ökonomischen Herausforderungen. Sie räumt die Probleme der DDR-Wirtschaft ein, kritisiert jedoch die undifferenzierte Abwertung und die einseitige Fokussierung auf die negativen Aspekte. Sie betont die verpassten Chancen einer schrittweisen Reform und die verheerenden Folgen der übereilten Privatisierung durch die Treuhandanstalt. Darüber hinaus mahnt sie die Bedeutung von Demokratie und Bürgerbeteiligung an, um Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und eine gerechtere sowie nachhaltigere Wirtschaftsordnung zu schaffen.
Lufts Perspektiven bieten einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über die Wendezeit und die Herausforderungen, mit denen Ostdeutschland konfrontiert war. Ihre Erfahrungen und Einschätzungen regen dazu an, die komplexen Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Faktoren während dieser entscheidenden Phase der deutschen Geschichte genauer zu betrachten.