Der Appell der „Leipziger Sechs“: Ein Aufruf zur Gewaltfreiheit am 9. Oktober 1989

Die Leipziger Sechs - Wiedersehen 10 Jahre nach dem 9. Oktober 1989

Am 9. Oktober 1989 erreichten die „Leipziger Sechs“ mit ihrem eindringlichen Appell, der Gewaltfreiheit anmahnte, nicht nur die Menschen auf den Straßen Leipzigs, sondern dank der Ausstrahlung im Rundfunk auch weite Teile der Bevölkerung in der Region. Der Aufruf ging auf die Initiative einer außergewöhnlichen Gruppe von Persönlichkeiten zurück: Der weltbekannte Dirigent Kurt Masur, der Kabarettist Bernd-Lutz Lange, der Theologe Peter F. Zimmermann sowie die Mitglieder der SED-Bezirksleitung Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel. Gemeinsam entschlossen sie sich, einen letzten Versuch zu unternehmen, um die brenzlige Lage zu entschärfen und mögliche Gewalt auf den Montagsdemonstrationen zu verhindern.

Ihr Aufruf, der ab 18 Uhr nicht nur über 200 Lautsprecher in der Stadt, sondern auch im regionalen Rundfunk ausgestrahlt wurde, appellierte eindringlich an die Bevölkerung, sich friedlich zu verhalten und den Dialog über Gewalt zu stellen. Die Entscheidung, den Appell über den Rundfunk zu verbreiten, erwies sich als besonders wirkungsvoll. So konnte eine noch größere Zahl von Menschen erreicht werden, auch jene, die möglicherweise nicht an den Demonstrationen teilnahmen, aber trotzdem den Ausgang der Ereignisse mit Spannung verfolgten. Das Radio spielte zu dieser Zeit in der DDR eine wichtige Rolle bei der Informationsvermittlung, besonders in kritischen Momenten wie diesem.

Der Appell im Rundfunk verstärkte die Wirkung des Aufrufs und trug dazu bei, dass sich der Wille zur Gewaltfreiheit weiter in der Bevölkerung festigte. Die Ausstrahlung im Radio vermittelte den Menschen, dass die Situation zwar ernst, aber nicht aussichtslos war. Dieser Schritt war ein entscheidender Faktor dafür, dass sich die Demonstranten auf den Straßen Leipzigs in einem Moment höchster Anspannung dazu entschlossen, friedlich zu bleiben.

Die zentrale Rolle, die Persönlichkeiten wie Kurt Masur und Bernd-Lutz Lange in dieser kritischen Phase spielten, trug erheblich dazu bei, dass ihr Aufruf auf offene Ohren stieß. Masur, als international angesehener Dirigent, besaß in Ost und West ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und Autorität. Sein Engagement für den Dialog und die Gewaltlosigkeit fand breite Zustimmung, und viele Menschen folgten seinem Appell. Auch die anderen Mitglieder der „Leipziger Sechs“, insbesondere Bernd-Lutz Lange und Peter F. Zimmermann, setzten sich unermüdlich für eine friedliche Lösung ein.

Die Unterstützung der SED-Bezirksleitung, vertreten durch Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel, war ebenfalls von großer Bedeutung. Diese Funktionäre sahen ein, dass der anhaltende Druck der Bevölkerung und die immer zahlreicher werdenden Demonstrationen nicht durch Gewalt gelöst werden konnten. Ihre Beteiligung an dem Aufruf symbolisierte eine wichtige Brücke zwischen der Staatsmacht und den Bürgern, die an diesem Tag eine entscheidende Rolle spielte. Indem sie gemeinsam mit den anderen Akteuren den Appell unterzeichneten, gaben sie dem Aufruf zusätzliche Legitimität und trugen dazu bei, die Eskalation zu verhindern.

In der Geschichte der friedlichen Revolution von 1989 bleibt der 9. Oktober ein Wendepunkt, und der Rundfunkaufruf der „Leipziger Sechs“ ist ein Schlüsselmoment. Durch ihre Entschlossenheit und das Mittel des Dialogs gelang es ihnen, die Menschen in einer heiklen Lage zu mobilisieren und zu einem friedlichen Verlauf der Demonstrationen beizutragen. Die Ausstrahlung des Aufrufs im Rundfunk war eine kluge und weitreichende Entscheidung, die dazu beitrug, den Demonstranten Mut zu machen und den friedlichen Widerstand zu stärken.

Die Rolle des Rundfunks kann in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden. In einer Zeit, in der andere Medien unter strikter Kontrolle des Staates standen und unabhängige Informationen rar waren, bot das Radio eine Möglichkeit, Menschen direkt zu erreichen. Der Appell der „Leipziger Sechs“ wurde so in die Häuser und Wohnzimmer der Menschen getragen, und diese fühlten sich in ihrer Entschlossenheit bestärkt, friedlich für ihre Rechte einzutreten.

Der Rundfunkaufruf der „Leipziger Sechs“ verdeutlichte die Stärke und den Einfluss von Persönlichkeiten, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen und den Dialog über Gewalt zu stellen. Ohne diesen Appell und seine Verbreitung im Radio wäre der Ausgang des 9. Oktobers vielleicht ein anderer gewesen. Doch so gelang es der friedlichen Revolution, einen entscheidenden Schritt voranzukommen und den Weg für die Wende in der DDR zu ebnen.

Die friedliche Revolution in Leipzig und anderen Städten der DDR wäre ohne den Mut und die Entschlossenheit von Menschen wie den „Leipziger Sechs“ und ihren Aufruf, der über Lautsprecher und den Rundfunk verbreitet wurde, möglicherweise in Gewalt geendet. Stattdessen wurde dieser Tag ein Symbol für den gewaltlosen Widerstand und den Wunsch nach Freiheit, der schließlich den Fall der Berliner Mauer und das Ende der SED-Diktatur einleitete. Der Appell der „Leipziger Sechs“ bleibt ein eindrucksvolles Beispiel für die Kraft des Dialogs in politisch angespannten Zeiten.

Die Friedliche Revolution in Leipzig: Originale Tonaufnahme von Kurt Masur

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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