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Feuer, Form und Fortschritt – Alltag in der DDR-Gießerei 1972

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In den Stahlgießereien der DDR formten Arbeiter nicht nur Metall – sie prägten auch das Selbstverständnis des sozialistischen Produktionsalltags. Ein Rückblick auf eine vergangene Arbeitswelt, die auf Wissen, Disziplin und Gemeinschaft setzte.

Der Geruch von heißem Metall, das rhythmische Stampfen der Verdichtungsmaschinen und die konzentrierten Bewegungen der Former – in einer DDR-Gießerei im Jahr 1972 herrschte ein Takt aus Präzision, Kraft und kollektivem Bewusstsein. Metallgießen, eines der ältesten Urformverfahren der Menschheit, war in der Deutschen Demokratischen Republik nicht nur ein technischer Prozess, sondern ein Symbol für die Verbindung von Tradition und sozialistischer Industriepolitik.

In einem Filmbeitrag aus jenem Jahr wird der gesamte Ablauf der Herstellung eines Gussteils – konkret einer Flanschbuchse – dokumentiert. Vom hölzernen Modellbau über das Einformen in Sandkästen bis zum Gussvorgang selbst entfaltet sich ein minutiös geplanter Arbeitsprozess, bei dem menschliches Geschick und maschinelle Unterstützung Hand in Hand gehen. Dabei wird deutlich: Auch wenn sich das Grundprinzip des Gießens seit Tausenden von Jahren nicht verändert hat, so strebte die DDR-Wirtschaft nach stetiger Verbesserung – und nach der umfassenden Mechanisierung der Produktion.

Die Stahlgießerei war ein Ort, an dem der „Gießereifacharbeiter“ nicht nur seine körperliche Belastbarkeit unter Beweis stellen musste, sondern auch technisches Verständnis und Präzision. Schon in den 1970er-Jahren zeichnete sich der Übergang zur automatisierten Fertigung ab: Maschinen übernahmen immer mehr Schritte – von der Sandverdichtung bis zum Wenden der Formkästen. Dennoch blieb das Know-how der Facharbeiter unverzichtbar. Der Film betont: „An das Wissen des Gießereifacharbeiters müssen jedoch immer höhere Anforderungen gestellt werden.“

Im Einklang mit der sozialistischen Ideologie der Zeit wird nicht nur die Technik, sondern auch der Mensch in den Mittelpunkt gestellt – als Träger des Fortschritts. Der Arbeitsplatz in der Gießerei war hart, aber er bedeutete auch Stolz, Verantwortung und Teilhabe am Aufbau des Sozialismus. Die Dokumentation schließt mit einem optimistischen Blick in die Zukunft: Gießereispezialisten sollen bald saubere, vollautomatisierte Fertigungsstraßen „mit wenigen Handgriffen vom Schaltpult aus steuern und überwachen“.

Heute wirkt diese Vision wie ein Echo aus einer untergegangenen Welt. Doch der Blick zurück zeigt nicht nur die Entwicklung der Technik – er erinnert auch an eine Zeit, in der Arbeit und Ideologie eng verwoben waren. In den glühenden Formen der Gießerei spiegelte sich mehr als nur geschmolzenes Metall: Sie standen für einen gesellschaftlichen Entwurf, der Arbeit als Motor der Geschichte verstand.

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Kommunen schlagen Alarm

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Berlin. Der Tarifkompromiss für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sorgt für scharfe Kritik aus den Reihen der kommunalen Spitzenverbände. Besonders die Landkreise sehen sich durch die finanziellen Folgen des Abschlusses erheblich belastet. Der Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), Landrat Dr. Achim Brötel, spricht von einem „schmerzhaften Kompromiss“, der die Kommunalhaushalte an den Rand der Belastbarkeit bringe.

„Die Kommunen, die wesentlich mehr Beschäftigte als der Bund haben, müssen den Löwenanteil dieses Abschlusses schultern“, so Brötel. Allein für die Tarifbeschäftigten entstünden dauerhaft jährliche Mehrkosten von bis zu 10,6 Milliarden Euro. Sollte der Abschluss auf die Beamtinnen und Beamten übertragen werden, könnten die Kosten noch deutlich steigen.

Brötel zeichnet ein dramatisches Bild der finanziellen Lage vieler Kommunen. „Man kann ohne Übertreibung sagen: Die Hütte brennt, und zwar lichterloh. Überall sind momentan die Haushalte im freien Fall.“ Vor diesem Hintergrund hält er den Tarifabschluss für nicht tragbar. „So etwas überschreitet die kommunale Schmerzgrenze.“

Obwohl die ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaften ver.di und dbb beamtenbund und tarifunion nach Ansicht Brötels noch deutlich höher ausgefallen seien, ändere das nichts an der grundsätzlichen Problematik: „Wir können uns diesen Abschluss im Grunde nicht leisten. Er vertieft unsere bestehenden Probleme nur weiter.“

Besonders kritisch sieht der DLT-Präsident auch den vereinbarten zusätzlichen Urlaubstag. Angesichts des bestehenden Fachkräftemangels im öffentlichen Dienst sei dieser kaum zu kompensieren.

Die Gewerkschaften hingegen begrüßen den Abschluss als notwendigen Ausgleich für die Belastungen durch Inflation und gestiegene Lebenshaltungskosten. Für die Beschäftigten bedeutet die Einigung unter anderem eine spürbare Einkommenserhöhung sowie soziale Komponenten wie Einmalzahlungen und Sonderurlaub.

Die Debatte um die Finanzierung bleibt jedoch offen. Viele Kommunen stehen bereits vor der Aufgabe, Pflichtaufgaben zu sichern und gleichzeitig Investitionen in Schulen, Infrastruktur und soziale Leistungen nicht gänzlich zurückzufahren. Brötel mahnt: „Wieder einmal interessiert es niemand, wie das alles noch bezahlt werden soll.“

Steuerstreit, Hungerstreik und Polizeieinsatz – Die PDS im Ausnahmezustand

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Ein bizarrer Mix aus politischem Protest, staatlicher Härte und medienwirksamer Inszenierung: Die PDS, Nachfolgepartei der SED, sieht sich mit einem Steuerbescheid in Millionenhöhe konfrontiert – und greift zu drastischen Mitteln. Parteichef Gregor Gysi und mehrere Mitstreiter treten in den Hungerstreik. Der Staat reagiert prompt – mit einem polizeilichen Räumungseinsatz, der Fragen zur Verhältnismäßigkeit aufwirft.

Der Auslöser: Ein umstrittener Steuerbescheid
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht ein Steuerbescheid des Berliner Finanzamts: 67.440.142 D-Mark soll die Partei zahlen – laut Gysi eine willkürliche und politisch motivierte Forderung. Der Bescheid bezieht sich offenbar auf rückwirkende Steuerforderungen aus dem Jahr 1990, das Jahr der deutschen Einheit. Experten äußern Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Maßnahme, auch die Treuhandanstalt und gerichtliche Stellungnahmen äußern Skepsis.

„Wenn ich erst von drei Millionen rede und dann plötzlich 67 Millionen fordere – da stimmt doch was nicht“, kritisierte Gysi in einer öffentlichen Erklärung. Er sieht in dem Vorgehen eine gezielte Attacke auf die Existenz der Partei.

Protest im Parteibüro: Hungerstreik als politische Waffe
Als Reaktion auf die Forderung trat die Parteiführung in einen kollektiven Hungerstreik. In den Räumen der Parteiprüfungskommission verweigerten sieben PDS-Mitglieder – darunter Gysi – demonstrativ die Nahrungsaufnahme. Es sollte ein Zeichen des Widerstands sein, eine Mahnung an die Öffentlichkeit. Doch die Inszenierung wurde vom Staat nicht unbeantwortet gelassen.

Polizeiliche Räumung eskaliert
In der Nacht kam es zur Eskalation. PDS-Mitglieder versuchten, die Räume der PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zu besetzen. Die Polizei griff ein – mit einem massiven Aufgebot. Der Zugang wurde blockiert, Mannschaftswagen fuhren auf, ein Kamerateam von SPIEGEL TV wurde bei der Räumung grob behandelt. Eine Kamera wurde dabei erheblich beschädigt – ein Vorgang, der Erinnerungen an autoritäre Regime wachrief.

„In Sachen Pressefreiheit hat man viel von der DDR gelernt“, kommentierte ein Reporter sarkastisch. Die Polizei hingegen sprach von einem „ordnungsgemäßen Einsatz“ und bestritt den Einsatz von Gewalt – trotz gegenteiliger Bildaufnahmen.

Der Kampf geht weiter – auf der Theaterbühne
Nach der Räumung verlagerte die PDS ihren Protest in ein Theater – der Intendant zeigte sich solidarisch. „Kunst kennt leere Mägen“, hieß es. Zwischen Klappbetten und Kissenverteilung ging der Kampf ums politische Überleben weiter. Unterdessen hatte das Finanzamt bereits erste drei Millionen D-Mark vom Parteikonto gepfändet – eine klare Ansage.

Politisches Drama mit offenem Ausgang
Der Fall zeigt: Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und der Umgang mit dem Erbe der SED ist auch 35 Jahre nach der Wende ein politisch explosives Thema. Die PDS fühlt sich verfolgt, der Staat beruft sich auf Recht und Gesetz – und mittendrin ein Protest, der zwischen Ernst und politischem Theater schwankt. Wie dieser Konflikt ausgeht, bleibt abzuwarten – sicher ist nur: Die Fronten sind verhärtet.

Ein Jahr LNG-Terminal Rügen: Fossile Sackgasse statt Energiesicherheit

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Vor einem Jahr wurde das Flüssigerdgas-Terminal im Hafen Mukran genehmigt. Heute zeigt sich: Der Beitrag zur Energiesicherheit ist gering, der Schaden für Umwelt und Küstenregion erheblich. Die Deutsche Umwelthilfe fordert ein Ende des Projekts.

Als im Frühjahr 2024 der Startschuss für das LNG-Terminal im Hafen von Mukran auf Rügen fiel, ging es um nichts Geringeres als nationale Energiesouveränität. Ein rascher Aufbau alternativer Gasinfrastruktur galt in Berlin als Antwort auf die geopolitische Krise und den Wegfall russischer Importe. Die Genehmigung in Rekordzeit wurde politisch gefeiert – die Kritik an Umweltrisiken und mangelnder Bedarfslage dagegen als Nebengeräusche abgetan.

Ein Jahr später zieht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Bilanz – und die fällt verheerend aus.

Ein Terminal ohne Last
Gerade einmal 1,3 Milliarden Kubikmeter Gas wurden 2024 über Mukran eingespeist – das entspricht rund 1,5 Prozent des deutschen Verbrauchs. Im ersten Quartal 2025 ist die Auslastung laut DUH weiter gesunken: auf fünf Prozent, bezogen auf die technische Kapazität. Der Betreiber Deutsche Regas hat bereits eines der beiden Terminalschiffe zurückgegeben. Statt Gas nach Deutschland zu bringen, wird zunehmend exportiert – LNG, umgeschlagen für den internationalen Markt.

„Das Terminal hat nie einen relevanten Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet“, sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. „Es ist eine Fehlinvestition mit Ansage.“

Versprechen gebrochen, Natur beschädigt
Die Kritik der Umweltschützer ist vielschichtig: Der Bau habe sensible Meeresgebiete zerstört – mit Auswirkungen auf bedrohte Arten wie Schweinswale, Kegelrobben und Heringe. Lärmbelastung, Luft- und Wasserverschmutzung beeinträchtigten das Leben auf der Insel. Der versprochene Landstromanschluss, der Emissionen hätte reduzieren können, wurde laut DUH inzwischen abgesagt. Auch das politische Bekenntnis, kein Fracking-Gas zu importieren, sei gebrochen worden: In Mukran komme fast ausschließlich Gas aus US-amerikanischer Förderung an.

Nicht nur ökologische, auch soziale und wirtschaftliche Versprechen seien uneingelöst geblieben. Ein nachhaltiger Ausbau des Hafens oder neue Arbeitsplätze? Fehlanzeige. Vielmehr leidet der Tourismus – eine der wichtigsten Einnahmequellen der Region – unter der Präsenz des Terminals.

Ein Projekt seiner Zeit – oder aus der Zeit gefallen?
Die Deutsche Regas weist die Vorwürfe zurück und verweist auf die energiepolitische Notwendigkeit bei Projektstart. Doch die Realität auf dem Energiemarkt hat sich gewandelt: Gaspreise sind stabilisiert, Speicher gut gefüllt, neue Lieferwege etabliert. Die Frage steht im Raum, ob Mukran nicht längst überflüssig geworden ist – ein Relikt aus einer Phase hektischer Beschaffungspolitik.

Constantin Zerger, Energieexperte der DUH, sieht im Terminal vielmehr ein „Symbol fossiler Fehlentscheidungen“. Mukran solle nun gar zu einem internationalen Umschlagplatz für Fracking-Gas werden – ein Schritt, der laut Zerger „die Klimakrise weiter befeuert und den ursprünglichen Zweck des Projekts endgültig konterkariert“.

Der Ruf nach einem Schlussstrich
Die DUH fordert die Bundesregierung und das Land Mecklenburg-Vorpommern nun auf, Konsequenzen zu ziehen: Das Projekt solle gestoppt und vollständig rückabgewickelt werden. Für viele auf Rügen, aber auch in der klimapolitischen Debatte, steht das Terminal inzwischen sinnbildlich für ein Dilemma: den Versuch, mit alten Mitteln neue Krisen zu lösen – und dabei neue Probleme zu schaffen.

Ob Mukran zum Mahnmal oder zum Modellfall einer Rückbesinnung auf langfristige, nachhaltige Energiepolitik wird, bleibt offen. Klar ist jedoch: Die Diskussion um die Zukunft fossiler Infrastruktur ist längst noch nicht beendet.

Weimar 1990 – eine Stadt im Moment der Geschichte. Ein Moment, der bleibt.

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Es sind nur wenige Minuten, ein einziges Video – aufgenommen in Weimar, im Jahr 1990. Und doch steckt in diesen Bildern eine ganze Epoche. Weimar, diese geschichtsträchtige Stadt in Thüringen, wird hier zur Chiffre für eine Gesellschaft im Umbruch. Die Bilder zeigen keine Sensationen, keine großen Ereignisse. Sie zeigen das Alltägliche. Und genau darin liegt ihre Kraft.

Der Ort: Weimar, Stadt der Dichter, der Bauhaus-Architektur und des kulturellen Erbes. Eine Stadt, die wie kaum eine andere das Spannungsfeld deutscher Geschichte spiegelt – von Goethe bis zum Konzentrationslager Buchenwald. 1990 ist Weimar jedoch vor allem eines: eine Stadt in der Schwebe. Die DDR liegt hinter ihr, die Bundesrepublik vor ihr. Zwischen gestern und morgen taumelt ein Heute, das noch keinen Namen hat.

Die Kamera gleitet durch die Straßen. Verblasste Fassaden, bröckelnder Putz, leerstehende Geschäfte. Trabant und Wartburg parken am Straßenrand. Fußgänger bewegen sich langsam, als hätten sie das Tempo des Westens noch nicht verinnerlicht. Ein Hauch von Stillstand liegt über allem – aber auch ein leises Vibrieren, eine gespannte Erwartung. Man spürt: Hier ist etwas zu Ende gegangen. Aber was kommt jetzt?

Die Bilder aus Weimar sind mehr als ein lokales Zeitdokument. Sie stehen stellvertretend für hunderte Städte und Gemeinden in der damaligen DDR, die sich nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung plötzlich im Prozess der Anpassung an ein anderes System wiederfanden – politisch, wirtschaftlich, kulturell und seelisch. Die Euphorie des Herbstes 1989 war da längst verflogen. Zurück blieb eine Mischung aus Unsicherheit, Hoffnung und auch stillem Verlust.

Für viele Menschen bedeutete das Jahr 1990 nicht die ersehnte Freiheit allein, sondern auch die Konfrontation mit einer neuen Realität, die ihnen fremd war. Alte Sicherheiten zerbrachen, neue Strukturen waren noch nicht in Sicht. Ganze Betriebe wurden abgewickelt, Existenzen gerieten ins Wanken. Der westdeutsche Kapitalismus kam nicht als Versprechen, sondern oft als Zumutung.

Und doch: Die Bilder zeigen keine Verzweiflung. Vielleicht Melancholie, vielleicht Verwunderung, aber auch einen stillen Trotz. Die Menschen wirken ernst, aber nicht gebrochen. Es ist, als wüssten sie: Wir müssen da durch – wieder einmal.

Heute, 35 Jahre später, lohnt der Blick zurück. Nicht aus Nostalgie, sondern um zu verstehen, wie tief die Erfahrungen dieser Zeit nachwirken. Viele der politischen, sozialen und kulturellen Spannungen, die wir heute in Ostdeutschland erleben, wurzeln in genau dieser Übergangszeit. 1990 war kein Neubeginn mit weißem Blatt, sondern ein Übermalen der alten Geschichte – oft hastig, manchmal unsensibel.

Dieses Video aus Weimar ist damit mehr als ein historisches Fundstück. Es ist ein Spiegel jener Zeit, der uns mahnt, nicht zu vergessen. Es erinnert an die leisen Töne der Wende, an das Zögern zwischen den Systemen, an die Gesichter in der Masse, die nicht wussten, ob das Kommende wirklich ihnen gehören würde.

Neuer Aufbruch am Alexanderplatz – Stefan Heym ruft zum Wandel auf

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Am 4. November 1989 bebte der Alexanderplatz in Ost-Berlin. Vor einer riesigen Menschenmenge trat der Schriftsteller und politische Aktivist Stefan Heym ans Rednerpult. In einer Rede, die den Geist des Umbruchs in den letzten Jahren widerspiegelte, appellierte Heym an die Bürger, endlich selbst die Macht in die Hand zu nehmen.

Die Rede als Symbol des Widerstands
Heym eröffnete seinen Vortrag mit der eindringlichen Feststellung: „Es spricht jetzt zu Ihnen der Nestor unserer Bewegung.“ Damit machte er deutlich, dass die Stunde des passiven Wartens vorbei sei. Er beschrieb die langjährige Stagnation in allen Bereichen des öffentlichen Lebens – in der Politik, der Wirtschaft und im kulturellen Bereich. Die Rede war ein eindrucksvoller Appell gegen die tief verwurzelte Bürokratie, die in der DDR das öffentliche Leben erstickte.

Freiheit, Demokratie und ein neuer Sozialismus
Der Schriftsteller wandte sich direkt an das Publikum: „Heute ihr, die ihr euch aus eigenem freien Willen versammelt habt – für Freiheit und Demokratie und für einen Sozialismus, der des Namens wert ist.“ Heym betonte, dass echter Sozialismus nicht in der autoritären Herrschaft einzelner oder weniger Gruppen bestehen könne. Vielmehr müsse die Macht vom Volk ausgehen und unter ständiger Kontrolle der Bürger bleiben. Seine Worte, „Schluss. Ändern. Wir sind das Volk“, sollten den Menschen Mut machen, sich aktiv an der politischen Gestaltung des eigenen Lebens zu beteiligen.

Ein Aufruf zur Selbstbestimmung
Während viele in der Vergangenheit resigniert ihre Klagen vorbrachten, forderte Heym nun tatkräftigen Widerstand gegen das etablierte System. Er erinnerte daran, dass in den vergangenen Jahren viele Versuche, sich zu erheben, gescheitert seien – ob unter dem Kaiser, den Nazis oder in späteren politischen Systemen. Jetzt aber, so seine Überzeugung, sei es an der Zeit, nicht nur aufzustehen, sondern auch zu lernen, wie man regiert. „Lasst uns auch lernen zu regieren“, so sein eindringlicher Appell.

Die Bedeutung der Rede im historischen Kontext
Die Rede von Stefan Heym am Alexanderplatz fiel in eine Zeit tiefgreifender politischer Umbrüche. Sie war Ausdruck der Hoffnung, dass das Ende einer Ära der Unterdrückung nicht nur ein Bruch mit der Vergangenheit, sondern auch der Beginn eines neuen, demokratischeren Sozialismus sein könnte. Heyms Worte spiegeln das Bedürfnis wider, Macht transparent und gemeinschaftlich auszuüben – ein Ideal, das heute genauso relevant erscheint wie damals.

Ein Vermächtnis für die Zukunft
Die Rede am 4. November 1989 bleibt ein Zeugnis des Mutes und der Überzeugung. Sie mahnt dazu, sich nicht in Resignation zu verlieren, sondern aktiv an der Gestaltung der eigenen Zukunft mitzuwirken. Stefan Heym hat damit einen bleibenden Eindruck hinterlassen – als Sprachrohr des Wandels und als Mahner, dass Macht immer im Dienst des Volkes stehen muss.

Diese eindringlichen Worte, gesprochen an einem historischen Wendepunkt, erinnern uns daran, wie wichtig es ist, für Freiheit, Demokratie und eine gerechte Gesellschaft einzustehen – Werte, die auch in der heutigen Zeit nicht an Bedeutung verloren haben.

Tarifabschluss: Bund und Kommunen einigen sich auf umfassendes Paket

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Berlin. Nach monatelangen Verhandlungen, einem Schlichtungsverfahren und mehreren Warnstreikwellen ist der Durchbruch gelungen: Bund und Kommunen haben sich mit den Gewerkschaften auf einen neuen Tarifabschluss für rund 2,6 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst geeinigt. Neben einer moderaten Entgelterhöhung enthält das Paket auch deutliche Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen, Zulagen und Sonderzahlungen. Die Laufzeit des Vertrags beträgt 27 Monate, vom 1. Januar 2025 bis zum 31. März 2027.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die für den Bund verhandelte, sprach von einem „wichtigen Schritt für einen modernen, attraktiven öffentlichen Dienst“. Man habe eine ausgewogene Lösung gefunden, die sowohl den berechtigten Erwartungen der Beschäftigten als auch den Grenzen öffentlicher Haushalte Rechnung trage. Für die kommunalen Arbeitgeber verhandelte die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA).

Stufenweise Erhöhung der Einkommen
Im Zentrum des Tarifabschlusses steht eine lineare Entgelterhöhung von insgesamt 5,8 Prozent in zwei Stufen:

  • Zum 1. April 2025 steigen die Gehälter um 3 Prozent, mindestens jedoch um 110 Euro,
  • zum 1. Mai 2026 folgen weitere 2,8 Prozent.

Für Auszubildende und Studierende in praxisintegrierten Studiengängen sind jeweils 75 Euro mehr vorgesehen.

Höhere Sonderzahlungen und Wahlfreiheit bei Freizeit
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Jahressonderzahlung („13. Monatsgehalt“) ab 2026. Sie wird spürbar angehoben – für Beschäftigte in den unteren Entgeltgruppen (EG 1 bis 8) des Bundes etwa von 90 auf 95 Prozent, in den höheren Gruppen steigt sie teils deutlich stärker. Für kommunale Beschäftigte wird die Sonderzahlung auf einheitlich 85 Prozent eines Monatsgehalts festgelegt.

Zugleich wird ein neues „Zeit-statt-Geld“-Wahlmodell eingeführt. Ab 2026 können Beschäftigte Teile der Sonderzahlung in bis zu drei zusätzliche freie Tage eintauschen. Für kommunale Krankenhäuser gelten abweichende Regelungen.

Verbesserungen bei Zulagen und Arbeitszeitmodellen
Die oftmals beklagten niedrigen Schichtzulagen werden ab Juli 2025 deutlich erhöht:

  • Die Zulage für Schichtarbeit steigt von 40 auf 100 Euro monatlich,
  • die für Wechselschichtarbeit von 105 auf 200 Euro.

Zudem erhalten alle Tarifbeschäftigten ab 2027 einen weiteren Urlaubstag. Die Möglichkeit, freiwillig und befristet die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 42 Stunden zu erhöhen, schafft zusätzliche Flexibilität. Ebenso werden bestehende Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland in Fragen des Kündigungsschutzes und der Befristung beseitigt.

Sicherung des Berufseinstiegs
Für den Nachwuchs gibt es ein klares Signal: Wer erfolgreich eine Ausbildung oder ein duales Studium abschließt, soll künftig unbefristet übernommen werden. Damit wollen die Tarifpartner dem wachsenden Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst entgegenwirken.

Haushaltsauswirkungen und weitere Schritte
Für den Bund bedeutet der Abschluss zusätzliche Kosten von rund 1,94 Milliarden Euro über die Laufzeit von 27 Monaten. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Tarifregelungen auch auf die Beamtinnen und Beamten des Bundes übertragen werden, trifft die künftige Bundesregierung.

Innenministerin Faeser betonte abschließend:
„Dieser Abschluss ist ein Zeichen des Respekts gegenüber denjenigen, die unsere öffentliche Infrastruktur am Laufen halten – vom Gesundheitsamt bis zur Müllabfuhr, von der Verwaltung bis zur Feuerwehr.“

Der stille Widerstand in der DDR: Die Bau – oder Spatensoldaten

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In den dunklen Jahren der Deutschen Demokratischen Republik, als der Staat absolute Loyalität forderte und Abweichungen vom offiziellen Kurs unerbittlich bestraft wurden, gab es eine besondere Gruppe von Soldaten, die heimlich gegen das System opponierten – die sogenannten Spatensoldaten.

Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1962 hinterließ zunächst kaum Wahlmöglichkeiten. Wer sich weigerte, den Dienst mit der Waffe anzutreten, musste mit bis zu fünf Jahren Gefängnis rechnen. Angesichts dieser drakonischen Maßstäbe und beeinflusst von der Stimme der Evangelischen Kirche, die ein ziviles Pendant zum militärischen Dienst forderte, änderte sich im Sommer 1964 überraschend das Bild: Soldaten, die den Waffendienst ablehnten, fanden eine alternative Form des Dienstes – den Bau- oder Bausoldatendienst.

Unter diesem System trugen sie zwar weiterhin die Uniform der Nationalen Volksarmee (NVA), doch statt den Tod zu bringen, hielten sie Werkzeuge in der Hand. Mit einem goldenen Spaten auf der Schulterklappe als einziges Erkennungszeichen wurden sie zu einem stillen, aber eindrucksvollen Symbol des zivilen Ungehorsams. Anders als ihre bewaffneten Kameraden leisteten sie ihren Dienst auf Baustellen und in den oft unwirtlichen Bereichen der DDR-Wirtschaft – vom Tagebau über die chemische Industrie bis hin zu aufwendigen Bauprojekten wie dem Fährhafen Mukran.

Die Lebensrealität der Spatensoldaten war geprägt von harter körperlicher Arbeit und dem täglichen Drill einer militärischen Hierarchie, in der sie trotz ihres Gewissensentscheids mit Willkür und Schikane zu kämpfen hatten. Bereits bei der Musterung wurden sie Opfer von Auseinandersetzungen mit der Militärgewalt, und auch der Treueschwur blieb ein ständiges Konfliktfeld. Viele weigerten sich aus moralischen und religiösen Überzeugungen, die geforderte Loyalität zur DDR zu bekunden – ein riskanter Schritt, der oft mit Gefängnisstrafen geahndet wurde.

Dabei blieb ihr Widerstand keineswegs unbemerkt. Die Staatssicherheit (MfS) überwachte die Bausoldaten von Beginn an mit allen verfügbaren Mitteln. Es gelang der MfS jedoch kaum, in diese Gruppe Spitzel zu rekrutieren – vielmehr waren es umfangreiche Abhörmaßnahmen, die Einblicke in die prekären Lebensbedingungen und den subtilen Widerstand innerhalb der Reihen ermöglichten.

Erst mit dem wachsenden politischen Druck in den Jahren vor der Wende und dem Umbruch im Herbst 1989 begann sich die Situation zu wandeln. In Dresden wurden Bausoldaten bereits im Oktober 1989 in Krankenhäusern eingesetzt, und ein Filmteam durfte erstmals einen Einblick in ihren neuen „zivilen“ Dienst gewinnen. Der entscheidende Schritt kam dann am 20. Februar 1990, als die Volkskammer das lang erkämpfte Zivildienstgesetz verabschiedete – ein Wendepunkt, der den Spatensoldaten eine offizielle Anerkennung ihres Gewissensakts bescherte.

Die Geschichte dieser Soldaten ist mehr als ein kurioses Kapitel militärischer Geschichte. Sie steht exemplarisch für den Mut einzelner, „Nein“ zu sagen in einem System, das bedingungslose Treue verlangte. Trotz der harten Bedingungen und der ständigen Überwachung bewiesen sie Zivilcourage – ein stiller Protest, der die Widersprüche eines repressiven Staates offenlegte.

Heute erinnern die Spatensoldaten daran, dass selbst in den dunkelsten Zeiten der Mensch das Recht auf individuelle Überzeugung bewahren und für den Frieden einstehen kann. Ihre Geschichte bleibt ein eindrucksvolles Zeugnis der Kraft des Gewissens und ein Mahnmal für die Freiheit des Denkens und Handelns in Zeiten staatlicher Repression.

Die Grenzaufklärer der NVA – Ein Propagandafilm als Spiegel der DDR-Grenzpolitik

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Der 1986 in der DDR produzierte Film Grenzaufklärer gibt einen detaillierten Einblick in die Arbeit der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee (NVA). Der Film zeigt den Dienstalltag der Grenzaufklärer, deren Aufgabe es war, die Grenze zur Bundesrepublik Deutschland systematisch zu überwachen. Dabei werden nicht nur ihre Aufklärungstätigkeiten dokumentiert, sondern auch die ideologische Grundlage ihrer Arbeit hervorgehoben. In seiner Machart und Botschaft ist der Film ein typisches Beispiel für die militärische Propaganda der späten DDR.

Inhalt und Analyse: Der Grenzaufklärer als sozialistischer Soldat
Der Film beginnt mit Szenen aus einer Grenzkompanie, in der abgelöste Grenzposten zurückkehren und gleichzeitig neue Einsatzbefehle vergeben werden. Bereits hier zeigt sich das zentrale Motiv: die allgegenwärtige Wachsamkeit gegenüber dem „feindlichen Westen“. Die Soldaten haben die Aufgabe, jede Bewegung jenseits der Grenze zu dokumentieren und auf mögliche Bedrohungen sofort zu reagieren.

Die Darstellung des Gegners, insbesondere der westdeutschen Bundesgrenzschutzbeamten und US-Streitkräfte, erfolgt durchweg in einem Ton der Verdächtigung. Jegliche Aktivität auf westlicher Seite wird als potenzielle Gefahr inszeniert. Die Grenzaufklärer haben die Aufgabe, kleinste Veränderungen an der Grenze zu registrieren, um die DDR-Sicherheit zu gewährleisten. Der Film suggeriert damit eine ständige Bedrohung durch die NATO und den Westen – ein typisches Narrativ des Kalten Krieges.

Auch die akribische Dokumentation von Grenzverletzungen ist ein zentrales Element des Films. Die Soldaten sind nicht nur mit Ferngläsern, sondern auch mit Kameras ausgerüstet, um Beweise zu sichern. Diese akribische Erfassung dient nicht nur internen Berichten, sondern auch als Grundlage für diplomatische Proteste gegen den Westen. Besonders betont wird die Professionalität und Disziplin der Grenzaufklärer, die durch ein hohes Maß an militärischer Exaktheit und strategischem Denken herausgestellt werden.

Historische Einordnung: Die Grenze als ideologische Frontlinie
Der Film entstand in einer Zeit, als die DDR zunehmend mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte. Die Mauer und die innerdeutsche Grenze waren für das Regime nicht nur eine militärische Sicherheitslinie, sondern auch ein Symbol für die vermeintliche Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus.

Die Grenztruppen der DDR spielten in diesem System eine entscheidende Rolle. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 wurde die Grenze immer weiter militarisiert. Stacheldraht, Minenfelder und Selbstschussanlagen sollten verhindern, dass DDR-Bürger in den Westen flohen. Der Film Grenzaufklärer diente in diesem Kontext dazu, den Grenzdienst als heroische Pflicht darzustellen und die Notwendigkeit einer strikten Grenzüberwachung zu legitimieren.

Propagandistische Elemente und Zielsetzung
Die filmische Gestaltung folgt klaren propagandistischen Mustern. Die Grenzaufklärer werden als unermüdliche Verteidiger des Sozialismus inszeniert, deren Arbeit für die Sicherheit der DDR von zentraler Bedeutung ist. Durch die ständige Betonung der „aggressiven Ziele der NATO“ wird eine Bedrohungslage geschaffen, die die Notwendigkeit eines hochgerüsteten Grenzschutzes rechtfertigen soll. Dabei wird der Westen konsequent als feindlich dargestellt, während die DDR-Grenztruppen als disziplinierte, friedenssichernde Einheit präsentiert werden.

Der Film richtet sich sowohl an Soldaten als auch an die Zivilbevölkerung und soll die Notwendigkeit der Grenzsicherung unterstreichen. Durch die detaillierte Darstellung der militärischen Abläufe wird zudem der Eindruck erweckt, dass die DDR keine andere Wahl habe, als sich gegen die Bedrohung von außen zu verteidigen.

Ein Relikt der späten DDR-Propaganda
Der Film Grenzaufklärer ist ein typisches Beispiel für die staatliche Propaganda der DDR in den 1980er Jahren. Er spiegelt die paranoide Weltanschauung des Regimes wider, das sich durch den Westen bedroht sah und seine Bevölkerung von der Notwendigkeit eines rigorosen Grenzschutzes überzeugen wollte. In der heutigen Zeit dient der Film als historisches Dokument für die Mechanismen der DDR-Propaganda und die Rechtfertigung des repressiven Grenzregimes.

Mit dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wurde die ideologische Grundlage dieses Films endgültig hinfällig. Dennoch bleibt er ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie autoritäre Regime durch mediale Inszenierung ihre Macht legitimieren und festigen wollten.

Produktionssteigerung in Löbau: Neues DDR Parteitagsobjekt 1986

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Die sozialistische Planwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war darauf ausgerichtet, durch kontinuierliche Rationalisierung und Modernisierung die Produktivität in volkseigenen Betrieben (VEB) zu steigern. Ein Beispiel für diesen Fortschritt war die Inbetriebnahme einer rekonstruierten Produktionsstrecke im VEB Vereinigte Grobgarnwerke Kirschau, Werk Löbau, im Jahr 1986. Diese Maßnahme war ein sogenanntes Parteitagsobjekt des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Parteitagsobjekte waren wirtschaftliche oder infrastrukturelle Projekte, die zum Anlass eines SED-Parteitags als Errungenschaften des Sozialismus hervorgehoben wurden. Sie dienten dazu, den wirtschaftlichen Fortschritt der DDR zu demonstrieren und den sozialistischen Wettbewerb innerhalb der Betriebe anzukurbeln.

Mit der Modernisierung der Produktionsstätte wurde eine jährliche Steigerung der Produktion um 700.000 Schlaf- und Schmuckdecken ermöglicht. Dies bedeutete eine erhebliche Verbesserung der Versorgungslage, denn die Nachfrage nach hochwertigen Textilprodukten war in der DDR stets hoch. Durch die Rekonstruktion der Produktionsanlagen konnte zudem eine erhöhte Effizienz erzielt werden, was wiederum eine Einsparung von 52 Arbeitsplätzen zur Folge hatte.

Diese Rationalisierung entsprach der wirtschaftlichen Strategie der DDR, die darauf abzielte, mit begrenzten Ressourcen eine höhere Produktivität zu erreichen. Besonders in den 1980er-Jahren setzte die DDR-Regierung verstärkt auf den Einsatz moderner Technologien und Automatisierung, um mit den wirtschaftlichen Herausforderungen der sozialistischen Planwirtschaft Schritt zu halten. Der Druck auf die Wirtschaft war hoch: Der Mangel an Rohstoffen, ineffiziente Produktionsweisen und die hohe Verschuldung der DDR gegenüber dem Westen machten Reformen und Rationalisierungsmaßnahmen notwendig.

Frauen in der Produktion – Eine sozialistische Erfolgsgeschichte?
Die Eröffnung der neuen Produktionsstrecke wurde von Ingeburg Lange, der Vorsitzenden der Frauenkommission beim ZK der SED, begleitet. Lange war eine der führenden Frauen in der DDR-Politik und setzte sich aktiv für die Gleichberechtigung von Frauen im Berufsleben ein. In ihrer Rede würdigte sie die Frauen im Betrieb und betonte die Bedeutung ihrer Arbeitsergebnisse für die sozialistische Produktion.

Die DDR propagierte offiziell die Gleichstellung der Frau und förderte ihre Integration in den Arbeitsmarkt. Frauen wurden ermutigt, in technischen Berufen zu arbeiten, und es gab spezielle Programme zur beruflichen Weiterbildung. Dennoch zeigte sich in der Praxis oft ein anderes Bild: Frauen waren zwar zahlreich in der Produktion vertreten, übernahmen jedoch häufig Berufe mit geringeren Löhnen und begrenzten Aufstiegschancen.

Trotz dieser Herausforderungen spielten Frauen eine zentrale Rolle in der DDR-Wirtschaft. In Betrieben wie den Vereinigten Grobgarnwerken Kirschau stellten sie einen bedeutenden Anteil der Belegschaft und trugen maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg bei. Die öffentliche Anerkennung durch Politikerinnen wie Ingeburg Lange war daher nicht nur eine ideologische Geste, sondern auch eine Notwendigkeit, um die Arbeitsmoral hochzuhalten.

Die Bedeutung von Parteitagsobjekten in der DDR-Wirtschaft
Das Konzept der Parteitagsobjekte hatte eine besondere Funktion innerhalb der DDR-Wirtschaft. Vor wichtigen Parteitagen der SED wurden gezielt Projekte gefördert und beschleunigt, um den wirtschaftlichen Fortschritt zu demonstrieren. Diese Objekte sollten zeigen, dass die Planwirtschaft funktionierte und die sozialistische Gesellschaft sich stetig weiterentwickelte.

In der Praxis kam es jedoch oft zu Problemen. Viele Parteitagsobjekte wurden unter enormem Zeitdruck umgesetzt, was nicht selten zu Qualitätseinbußen oder ineffizienter Nutzung der Investitionen führte. Zudem wurden häufig nur bestimmte Vorzeigeprojekte gefördert, während andere Bereiche der Wirtschaft unter mangelnder Finanzierung und fehlenden Investitionen litten.

Dennoch hatte das Parteitagsobjekt in Löbau eine reale wirtschaftliche Bedeutung. Die Modernisierung der Produktionsstrecke führte zu einer effektiveren Nutzung der Ressourcen, einer höheren Stückzahl an produzierten Decken und einer Rationalisierung der Arbeitsprozesse. Diese Maßnahmen entsprachen der wirtschaftspolitischen Linie der SED, die trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten eine Steigerung der industriellen Produktion anstrebte.

Rationalisierung und ihre Folgen – Zwischen Fortschritt und Arbeitsplatzabbau
Die Einsparung von 52 Arbeitsplätzen in der neu rekonstruierten Produktionsstrecke zeigt einen typischen Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR. Während die Regierung offiziell die Vollbeschäftigung garantierte, führten Rationalisierungsmaßnahmen immer wieder dazu, dass Arbeitskräfte in bestimmten Bereichen überflüssig wurden.

In der DDR bedeutete dies jedoch nicht automatisch Arbeitslosigkeit, denn das System sah vor, dass betroffene Arbeiterinnen und Arbeiter in anderen Bereichen eingesetzt wurden. Oft bedeutete dies jedoch Umschulungen oder die Übernahme weniger attraktiver Tätigkeiten. Kritiker der sozialistischen Planwirtschaft bemängelten, dass solche Maßnahmen oft nicht effizient durchgeführt wurden und viele Menschen in Bereichen eingesetzt wurden, in denen sie unterfordert waren.

Trotz dieser Probleme war die Produktionssteigerung im VEB Vereinigte Grobgarnwerke Kirschau ein beachtlicher Erfolg. Die DDR-Regierung konnte damit einen weiteren Beweis für die Leistungsfähigkeit der sozialistischen Wirtschaft liefern – zumindest auf dem Papier.

Fortschritt im sozialistischen Sinne?
Die Inbetriebnahme der modernisierten Produktionsstrecke in Löbau war ein typisches Beispiel für die wirtschaftspolitische Strategie der DDR in den 1980er-Jahren. Einerseits gelang es, durch Rationalisierung und technologische Erneuerung eine höhere Produktivität zu erreichen. Andererseits ging dies mit einem Arbeitsplatzabbau einher, der die sozialistische Wirtschaft vor neue Herausforderungen stellte.

Die Würdigung der weiblichen Arbeitskräfte durch Ingeburg Lange zeigt zudem die besondere Rolle der Frauen in der DDR-Wirtschaft, aber auch die ideologische Inszenierung solcher Ereignisse. Die Planwirtschaft war darauf angewiesen, solche Erfolge öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, um die Bevölkerung zu motivieren und das Vertrauen in die sozialistische Führung zu stärken.

Obwohl die Produktionssteigerung von 700.000 zusätzlichen Decken pro Jahr ein realer Fortschritt war, bleibt die Frage, inwieweit solche Rationalisierungsmaßnahmen langfristig zur Stabilität der DDR-Wirtschaft beitrugen. Die 1980er-Jahre waren geprägt von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und nur wenige Jahre später, 1989, kam es zum Zusammenbruch der DDR.

Der Blick auf dieses Parteitagsobjekt zeigt somit nicht nur eine Momentaufnahme sozialistischer Wirtschaftspolitik, sondern auch die strukturellen Herausforderungen, mit denen die DDR in ihrer Endphase zu kämpfen hatte.