Kleine Entscheidungen können zuweilen große Folge haben. Diese Erfahrung haben die Zeitzeug*innen in der DDR gemacht, deren Leben die Vorlage für die interaktive Graphic Novel »Wir leben hier!« sind.
Das browserbasierte Spiel »Wir leben hier!« porträtiert vier junge Leute in der DDR, begleitet für einen Tag ihre Lebensgeschichte und erzählt auch vom Davor und Danach. Klaus fühlt sich wie in »1984«, Karo tritt radikal für ihre Ideale ein, Bodo will einfach nur Punk sein und Sibylle sehnt sich nach Arbeit an der Drushba-Trasse in der Sowjetunion. Die Spieler*innen beeinflussen dabei aktiv das Geschehen und treffen Entscheidungen, die mitunter alles verändern: Widerspricht man im falschen Moment, kann das Spiel jäh beendet sein. Manchmal erweist sich der unbequeme Weg aber auch als einziger Ausweg.
Im Graphic Novel-Stil werden vier unterschiedliche Lebenssituationen spannend erzählt und Alltag und Geschichte historisch fundiert vermittelt: Die entwickelten Stories beruhen auf für das Projekt geführten Interviews mit Zeitzeug*innen, deren Jugend in unterschiedlichen Zeiten der DDR war.
Die Frage »Was wäre wenn?« steht im Mittelpunkt
In den vier Episoden des Spiels wird die Tragweite schon kleiner Entscheidungen auf unterschiedliche Weise sichtbar gemacht. Das regt zum Nachdenken und Diskutieren an. »Es ist durchaus erkennbar, welche realen Personen hinter den Figuren stecken, aber es bleiben ‚fiktive‘ Charaktere. Das war für die Spielbarkeit und für die Verständlichkeit wichtig«, so Martin Becker, der gemeinsam mit Tabea Soergel die Episoden geschrieben hat.
»Wir leben hier!« richtet sich insbesondere an eine junge Zielgruppe, die auf unterhaltsame und interaktive Weise mehr über DDR-Geschichte erfahren möchte. Das Spiel soll vor allem im Jugendbildungsbereich – auch außerhalb der Schule – eingesetzt werden. »Uns ist es wichtig, mit diesem Angebot einen Einstieg in die Beschäftigung mit der DDR zu bieten, jenen Teil deutscher Geschichte, der einem Großteil der Jugendlichen heutzutage nur noch vom Hörensagen oder aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern bekannt ist«, so Andreas Feddersen, Geschäftsführer der musealis GmbH, die das Spiel konzipiert und produziert hat. Das Spiel verbindet die Erzählform des Computerspiels mit der Authentizität und Lebensnähe der Geschichtsvermittlung durch Zeitzeug*innen. Der dokumentarische Charakter des Spiels bietet die Möglichkeit, Geschichte hautnah zu erleben und sich mit den alltäglichen Erfahrungen und Herausforderungen der Menschen in der DDR auseinanderzusetzen. Denn, so betonen die Macher*innen: »Die Geschichte der DDR ist nicht nur ein wichtiger Teil der deutschen Vergangenheit, sie prägt ganz wesentlich unsere Gegenwart.«
In Workshops mit Jugendlichen in der Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) wurden die Geschichten, Entscheidungsoptionen und Spielmechaniken vorgestellt. So entstand ein direktes Feedback, das in das Storytelling Eingang gefunden hat. »Das Feedback war uns sehr wichtig«, so Projektleiterin Andrea Karle von musealis. »Auch in den Austausch mit Menschen zu kommen, die geografisch keinen Bezug zur DDR haben, denn die Geschichte der DDR ist Teil der Geschichte Deutschlands. Das sollte in allen Bundesländern vermittelt werden, nicht nur im Osten.«
Das Projekt »Wir leben hier!« wurde in Zusammenarbeit mit der musealis GmbH, der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar, der Stiftung Ettersberg und der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen entwickelt. Es wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Rahmen des Programms »Jugend erinnert«.
Die interaktive Graphic Novel »Wir leben hier!« ist unter www.wir-leben-hier.com verfügbar.