In den großen Betriebskantinen und Werkhallen der späten DDR gehörte der Alkohol oft zum Alltag, toleriert oder schweigend hingenommen, während Medikamente im Verborgenen konsumiert wurden. Mit dem politischen Umbruch des Jahres 1990 veränderte sich nicht nur die Wirtschaftsstruktur, sondern radikal auch die Verfügbarkeit von Rauschmitteln und die Art der Abhängigkeiten.
Bis zum Mauerfall war Alkohol das dominierende Suchtmittel in der ostdeutschen Gesellschaft. Illegale Drogen spielten kaum eine Rolle und waren, wenn überhaupt, nur in sehr spezifischen und abgeschlossenen Zirkeln verfügbar. Weit unterschätzt blieb jedoch die Medikamentenabhängigkeit, die als „stille Sucht“ im Verborgenen blühte. Ohne auffällige Fahne oder torkelnden Gang blieben fast zwei Millionen Menschen deutschlandweit in dieser Spirale unbemerkt, da die Einnahme ärztlich legitimiert schien.
Mit der Wende brach diese isolierte Struktur auf. Plötzlich drängten Substanzen auf den Markt, die man zuvor nur aus westlichen Medien kannte. Besonders im Leipziger Raum tauchte Heroin auf, während in den aufblühenden Großdiskotheken die Partyszene erste Erfahrungen mit Ecstasy machte. Die Märkte für diese illegalen Drogen waren anfangs noch unorganisiert, doch Dealer-Strukturen und Absatzwege entwickelten sich schnell und erreichten um das Jahr 2000 einen kritischen Höhepunkt.
Für die Betriebe, die den wirtschaftlichen Umbruch überstanden hatten, stellte sich eine neue Herausforderung. Große Arbeitgeber wie die Bahn, die Post oder Industriegiganten wie VW erkannten, dass etwa zehn Prozent ihrer Belegschaft suchtgefährdet oder abhängig waren. Anstatt auf Entlassungen zu setzen, etablierten sie ein betriebliches Sozialmanagement. Das Ziel war der Erhalt der Arbeitskraft durch Unterstützung im gewohnten Umfeld, flankiert von professioneller Hilfe.
Die Biografien der Betroffenen zeigen dabei eindrücklich, wie tief der Fall sein kann und wie wertvoll eine Rückkehr ist. Ein ehemaliger Betriebsleiter, der durch seine Sucht bis zur Arbeitsunfähigkeit abstürzte, fand durch Therapie den Weg zurück in eine leitende Funktion im Großhandel. Solche Geschichten verdeutlichen den immensen menschlichen und wirtschaftlichen Mehrwert, wenn Unternehmen Verantwortung übernehmen und Genesung aktiv begleiten.
Ein entscheidender Konflikt entstand jedoch bei der therapeutischen Aufarbeitung. Die Rentenversicherung Bund wollte ostdeutsche Patienten zunächst pauschal in westdeutsche Kliniken schicken, in der Annahme, Sucht sei überall gleich. Doch die Experten vor Ort widersprachen vehement. Die Lebensgeschichten, die Sozialisation in der DDR und die spezifischen Bruchstellen der Wendezeit erforderten eine andere Herangehensweise als im Westen.
Es wurde deutlich, dass Therapie nur greift, wenn sie den kulturellen und biografischen Hintergrund der Menschen ernst nimmt. Die Ursachen für den Drogenkonsum im Osten waren eng mit den massiven gesellschaftlichen Umwälzungen verknüpft. Erst als dies anerkannt wurde, konnten in Sachsen eigene Kliniken entstehen, die sich auf diese spezifischen ostdeutschen Biografien spezialisierten.
Heute zeigt sich, dass dieser differenzierte Blick notwendig war. Es geht nicht nur um die Abstinenz, sondern um die Wiederherstellung von Würde und Perspektive. Wenn ein Handwerksmeister seinen Betrieb wieder führen kann oder Eltern wissen, dass ihre Kinder versorgt sind, ist dies der eigentliche Erfolg einer auf die Region abgestimmten Suchthilfe. Die Transformation der Drogenlandschaft erzwang somit auch eine Transformation des Helfens.