Es gibt Sätze, die tauchen mit einer verblüffenden Hartnäckigkeit immer wieder auf. „In der DDR war alles besser“ gehört ebenso dazu. Genauso wie der gegenteilige Satz: „In der DDR war alles nur schlecht.“ Beide klingen entschieden, beide wirken eindeutig – und beide führen zuverlässig am eigentlichen Kern vorbei. Denn die DDR lässt sich weder retten noch nachträglich reparieren. Sie ist Geschichte. Was geblieben ist, sind die Biografien derer, die in diesem Land gelebt haben, ihre Prägungen, Verletzungen, Strategien und Fähigkeiten. Und mit ihnen bleibt eine Frage, die weit unbequemer ist als jede nostalgische oder anklagende Debatte: Was machen wir heute aus dem, was uns damals geformt hat?
Viele Menschen tragen noch immer einen schweren Rucksack aus dieser Zeit mit sich herum. Gefüllt ist er mit Erinnerungen, mit Enttäuschungen und Erfolgen, mit Stolz, mit Scham, mit Verlust und mit Gewöhnung. Und viele versuchen bis heute, diesen Rucksack leichter zu bekommen, indem sie Vergangenes immer wieder neu verhandeln: Wer trug Schuld? Wer profitierte? Wer litt? Doch diese Rechnungen gehen nicht auf. Vergangenheit lässt sich nicht begleichen wie ein offener Kontoauszug. Verschüttete Milch bleibt verschüttete Milch, ganz gleich, wie lange man den Boden betrachtet oder wie gründlich man ihn analysiert.
Ja, die DDR bot Sicherheit – für viele. Und ja, es gab soziale Nähe, Verlässlichkeit, Gemeinschaft. Gleichzeitig gab es Kontrolle, Anpassungsdruck, Sprachlosigkeit, Angst und Ausgrenzung. Diese Widersprüche auszuhalten, wäre der erste erwachsene Schritt im Umgang mit dieser Geschichte. Stattdessen flüchten wir uns oft in einfache Deutungen. In die Verklärung oder in die Totalverdammung. Beides ist bequem, weil beides entlastet. Beides erspart vor allem die eigentliche Arbeit.
Denn diese Arbeit beginnt nicht im Rückblick, sondern in der Übertragung. Viele Menschen, die in der DDR groß geworden sind, haben Fähigkeiten entwickelt, die heute mehr denn je tragen könnten: improvisieren, organisieren, mit wenig auskommen, durchhalten, zwischen den Zeilen lesen, Unsicherheit aushalten, ohne ständig nach schnellen Lösungen zu rufen. Das sind keine ideologischen Erbschaften. Das sind biografische Ressourcen. Doch sie verkümmern, wenn man in der Vergangenheit wohnen bleibt, statt sie in der Gegenwart anzuwenden.
Wer heute sagt, früher sei alles sicherer gewesen, meint oft nicht die DDR – sondern die eigene Überforderung mit der Gegenwart. Und wer sagt, es sei damals alles nur schlecht gewesen, hat sich häufig mit der eigenen Prägung nie wirklich versöhnt. Beides bindet. Beides lähmt. Beides hält den inneren Rucksack fest auf den Schultern.
Die DDR darf erinnert werden. Sie muss erklärt werden. Sie gehört zur deutschen Geschichte wie jede andere Epoche auch. Aber sie taugt nicht als Dauerwohnung. Wer in der Vergangenheit lebt, verpasst die Gegenwart. Und wer sie als politisches Argument instrumentalisiert, ersetzt Nachdenken durch Trotz. Die entscheidende Frage ist nicht, ob die DDR besser oder schlechter war. Die entscheidende Frage lautet, was wir aus dieser Zeit gelernt haben – und was wir davon heute verantwortlich weitertragen.
Nicht die Sehnsucht nach dem, was war, entscheidet über unsere Zukunft. Sondern der Umgang mit dem, was geblieben ist. Kein System, keine Partei, keine Erinnerungskultur nimmt uns diese Entscheidung ab. Den Rucksack muss jeder selbst abwerfen. Die DDR ist vergangen. Unsere Prägung bleibt. Aber was wir aus ihr machen, liegt allein bei uns.
Und genau darin liegt unsere Freiheit.