Schattenwelt im Idyll: Der Stasi-Bunker vom Waldschlößchen

Ein Ausflugslokal, das von der Landkarte verschwand, und eine Bürgerbewegung, die Betonmauern zum Sprechen brachte: Die Geschichte der Ausweichführungsstelle der Staatssicherheit bei Schwerin ist ein Lehrstück über die Paranoia eines untergehenden Staates.

Schwerin. Der Name klingt nach Sonntagsausflug, nach Kaffee und Kuchen unter alten Bäumen: „Waldschlößchen“. Doch wer in den späten 80er Jahren vor den Toren Schwerins nach diesem Ort suchte, fand vor allem eines – Schweigen und Zäune. Was einst ein beliebtes Lokal war, hatte sich in ein hermetisch abgeriegeltes Sperrgebiet verwandelt. Erst die stürmischen Tage der Wendezeit im Winter 1989/90 lüfteten das Geheimnis, das tief unter dem Waldboden ruhte.

Eine Dokumentation der DFF-Reihe „Das Fenster“ aus dem Jahr 1991 hat diese Momente der Entdeckung festgehalten. Sie zeigt in einer Montage aus Realität und Propaganda, wie nah Idylle und Abgrund in der DDR beieinander lagen.

Das Geheimnis unter der Erde
Während oben die Vögel zwitscherten, bereitete man sich wenige Meter tiefer auf den Dritten Weltkrieg vor. Das Innere des Bunkers offenbart eine bizarre Welt: Gänge aus kaltem Beton, Überlebenstechnik, ein steriler Kommandoraum, Schlafsaal, Küche, Waschraum und komplexe Nachrichtentechnik.

Es ist eine funktionalisierte Unterwelt, die dennoch nicht ohne groteske Dekoration auskommt: An den tristen Wänden hängen Bilder siegreicher Sportlerinnen der DDR. Lächelnde Gesichter, die Dynamik und Erfolg ausstrahlen, blicken herab auf eine Szenerie, die für den Untergang gemacht ist.

Wunschbilder und Wirklichkeit
Diese Bilder im Bunker stehen im scharfen Kontrast zur Realität „draußen“, die der Film durch Archivaufnahmen gegenblendet: Szenen eines Propagandafilms zeigen Walter Ulbricht, der kurz nach dem Mauerbau Schwerin besucht. Man sieht den Wohnungsbau, Paraden, Feste – die sogenannten Szenen des Glücks, die Wunschbilder des Lebens über der Erde.

Doch unten, im Bauch des „Waldschlößchens“, herrschte eine andere Doktrin. „Das Leben war hart“, meint der Bunkerkommandant rückblickend über den Dienst im Verborgenen. Oberst Schulz, der Leiter für Mobilmachung, ergänzt im steifen Amtsdeutsch: „Wir erfüllten eine militärische Aufgabe.“ Die Diskrepanz zwischen dem propagierten sozialistischen Paradies oben und der militärischen Paranoia unten könnte kaum größer sein.

Gottvertrauen gegen Pistole
Die Öffnung dieses Bunkers war kein Verwaltungsakt, sondern eine psychologische Zerreißprobe. Pastor Radke, ein Vertreter der Bürgerbewegung, beschreibt den Moment der Enttarnung eindrücklich: Er hatte nur sein „Gottvertrauen“, während der Militärstaatsanwalt, den sie hinzuziehen mussten, noch seine Pistole bei sich trug.

Es war die Überwindung der Angst, die das System schließlich kollabieren ließ. Die Bürgerrechtler wussten um die Bewaffnung der Gegenseite, doch ihr Drängen war stärker als die Furcht. Als die Tore fielen, drehte sich das Verhältnis um: Angst hat jetzt der Bunkerkommandant. Der Mann, der als gelernter Maurer das „Waldschlößchen“ einst mit errichtete und dann befehligte, steht nun vor den Trümmern seiner Existenz. „Jetzt will ich Häuser bauen“, sagt er – weg vom Beton der Vernichtung, hin zum Wohnen.

Die Ästhetik der Macht
Besonders eindrücklich macht die Geschichte die Konfrontation der Täter und Opfer, und die Art, wie die „Tschekisten“ ihren Abgang inszenieren. Es gibt kaum Reue, eher eine Mischung aus Trotz und verletztem Berufsstolz.

Am Ende der Dokumentation sieht man die beiden Herren vom ehemaligen MfS durch den Wald gehen. Es ist ein fast friedliches Bild, wäre da nicht die Tonspur: Es erklingt ein Kampflied von Walter Stranka, gewidmet einem Jahrestag der Republik. Es ist die letzte „Ästhetik der Macht“, die hier verhallt. Der Bunker bleibt zurück als ein Mahnmal – ein technisches Relikt einer Sicherheitsdoktrin, die in ihrer totalen Abschottung den Kontakt zur Realität längst verloren hatte und am Ende nicht durch Raketen, sondern durch den Mut unbewaffneter Bürger besiegt wurde.