Fast ein halbes Jahrhundert lang war Ostdeutschland nicht nur ein Staat, sondern eine riesige Kaserne. Eine bemerkenswerte Dokumentation öffnet nun die Tore der „Verbotenen Stadt“ Wünsdorf und wirft ein Licht auf den Alltag, die Ängste und das stille Ende der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD).
Es war eine Welt in der Welt, hermetisch abgeriegelt und für den normalen DDR-Bürger ein weißer Fleck auf der Landkarte, der doch allgegenwärtig war. 50 Kilometer südlich von Berlin, tief in den brandenburgischen Wäldern, schlug das Herz einer Supermacht. Wünsdorf, von den Einheimischen nur „Klein-Moskau“ genannt, war das Gehirn der Roten Armee auf deutschem Boden. Von hier aus befehligten Generäle bis zu einer halben Million Soldaten, 20 Divisionen und über 10.000 Panzer.
Die Dokumentation „DDR unter Sowjetstern“ liefert mehr als nur Archivaufnahmen; sie ist eine Autopsie dieser gigantischen Militärmaschinerie, die den Kalten Krieg in Europa definierte. Sie zeigt eine Armee, die als Befreier kam, als Besatzer blieb und am Ende als stiller Verlierer abzog.
Panzer gegen das eigene Volk
Der Film räumt mit der romantisierten Vorstellung der „Waffenbrüderschaft“ auf, die in den Sonntagsreden der SED zelebriert wurde. Die Realität war oft geprägt von Misstrauen und eiserner Härte. Das zeigte sich nirgends deutlicher als am 17. Juni 1953. Als die DDR-Arbeiter aufbegehrten, war es nicht die Volkspolizei, die das Regime rettete – es waren die T-34-Panzer der Sowjets.
„Das Spiel ist aus“, signalisierte die bloße Präsenz der Stahlkolosse in Berlin, Leipzig und Magdeburg. Die Dokumentation lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, die das Trauma dieser Tage schildern: Standrechtliche Erschießungen und die bittere Erkenntnis, dass die DDR nur so lange existieren würde, wie Moskau es erlaubte.
Das Atomlager im märkischen Sand
Vielleicht am erschütterndsten sind die Einblicke in das nukleare Pulverfass, auf dem die DDR-Bevölkerung ahnungslos saß. Orte wie Vogelsang und Templin wurden zu heimlichen Lagern für Mittelstreckenraketen. „Eine Salve einer Division, und es gibt drei Hiroshimas weniger“, erinnert sich ein ehemaliger sowjetischer Offizier im Film mit beklemmender Nüchternheit.
Während die DDR-Führung offiziell für den Frieden trommelte, probte die GSSD in den Wäldern den atomaren Ernstfall. Die Stationierung der SS-20 Raketen in den 70er und 80er Jahren machte das geteilte Deutschland endgültig zur potenziellen Zielscheibe Nummer eins in einem Dritten Weltkrieg.
Tauschgeschäfte und „Dedowschtschina“
Doch die Doku blickt auch hinter die streng bewachten Kasernenmauern, wo der Alltag der Wehrpflichtigen oft alles andere als heroisch war. Junge Rekruten, tausende Kilometer von der Heimat entfernt, waren der Willkür ihrer Vorgesetzten und der brutalen Hierarchie der „Dedowschtschina“ (Herrschaft der Großväter) ausgeliefert.
Hunger und Mangelwirtschaft trieben seltsame Blüten. In fast schon komödiantischen Anekdoten erzählen Zeitzeugen, wie Benzin kanisterweise gegen Lebensmittel getauscht wurde oder wie Bauern Mist für ihre Felder „organisierten“, indem sie mit russischen Offizieren verhandelten. Es war dieser graue Markt, auf dem sich Besatzer und Besetzte oft näherkamen als bei den offiziellen Freundschaftsfeiern.
Der bittere Abzug
Das Finale des Films – und der Geschichte der GSSD – ist ein Abgesang voller Melancholie und Chaos. Mit dem Fall der Mauer 1989 verlor die gewaltige Streitmacht ihren Sinn. Die Bilder von 1990 bis 1994 zeigen eine Armee im Ausverkauf: Uniformen, Gasmasken und Technik wurden auf Flohmärkten verramscht, während Generäle fassungslos zusehen mussten, wie ihr Imperium zerfiel.
Als im August 1994 die letzten Truppen abzogen, geschah dies fast ohne Pomp, getrennt von den Westalliierten. Sie hinterließen verseuchte Böden, leere Kasernen und eine historische Zäsur.
Die Dokumentation ist ein unverzichtbares Zeitzeugnis. Sie mahnt, dass die Souveränität der DDR stets eine Illusion war – garantiert nur durch die Ketten sowjetischer Panzer. Wer die Geschichte Ostdeutschlands verstehen will, muss diesen Blick in den Lauf der Geschichte wagen.