Ich bin 1967 in Burg bei Magdeburg geboren. Ossi – dieses Wort ist für mich keine Zuschreibung, sondern Biografie. Kindheit in der DDR, Schule, Jugend, ein festes Koordinatensystem aus Gewissheiten, Regeln, Grenzen. Ich habe das alles erlebt, ohne es einordnen zu können, weil man als Kind nicht einordnet. Man lebt. Man nimmt hin. Man lernt, sich zu orientieren in dem, was da ist. Erst viel später versteht man, was einen eigentlich geprägt hat.
Als 1989 die Welt kippte, war ich 21. Gerade erwachsen geworden – und zugleich komplett neu gefordert. Was viele vergessen: Die Wende war kein fertiger Neubeginn, sie war ein offenes Feld. Ich bin nicht nur Zuschauer gewesen. Ich war mittendrin. Engagiert im Neuen Forum, in sozialen Initiativen, in Gremien, im Aufbau neuer Strukturen. Ich habe Verantwortung übernommen, Diskussionen geführt, mich politisch eingebracht. Nicht aus Karrieregründen, sondern weil diese Zeit danach verlangte, dass man nicht schweigt.
Meine Sozialisation liegt im Osten. Aber meine eigentliche intellektuelle Entwicklung – mein Denken, mein analytisches Arbeiten, mein politisches Bewusstsein – begann erst richtig nach der Wende. Das war Arbeit. Schwer, widersprüchlich, manchmal schmerzhaft. Ich musste lernen, dass nicht alles, was sich in meiner Erinnerung gut anfühlt, auch gut gewesen ist. Und dass nicht alles, was hart war, deshalb wertlos war. Diese Differenzierung habe ich mir nicht geschenkt – ich habe sie mir erarbeitet.
Heute erlebe ich oft, wie Erinnerungen wieder zu Gewissheiten erhärtet werden. Wie Erwachsene mit dem Blick des Kindes argumentieren. Ich verstehe das Gefühl dahinter. Aber ich kenne auch die Verantwortung des Erwachsenen. Ich kann mich nicht wieder zum Kind machen, um Fakten auszublenden. Ich darf an mir wachsen. Ich darf meine eigene Vergangenheit begleiten, korrigieren, neu bewerten. Das ist kein Verrat an der Herkunft, sondern ein Zeichen von Reife.
Fast 30 Jahre Medienarbeit, Analyse, Öffentlichkeit haben mich gelehrt, wie trügerisch einfache Wahrheiten sind. Wie leicht Erinnerung romantisiert – und wie schwer Aufklärung manchmal auszuhalten ist. Ich arbeite heute mit modernen Werkzeugen, mit Technik, mit KI. Aber was ich tue, speist sich aus etwas sehr Altem: aus Beobachtung, Zweifel, Haltung und dem Willen, Dinge nicht nur zu fühlen, sondern zu verstehen.
Ich bin im Osten sozialisiert worden. Aber das Denken in Zusammenhängen, das kritische Prüfen, das Einordnen habe ich mir erst im Danach erarbeitet. Und vielleicht ist genau das mein innerer Antrieb geblieben: mich selbst nicht zu schonen, sondern ernst zu nehmen. Als Kind von damals. Und als Erwachsener von heute.