Gerhard Löwenthals kompromisslose Vision für die DDR kurz nach dem Mauerfall

Ein Vierteljahrhundert nach der deutschen Wiedervereinigung blicken wir zurück auf eine Zeit des Umbruchs, die von anfänglichem Chaos und einer Fülle widerstreitender Visionen geprägt war. Direkt nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 gab es noch keinen festen Plan für eine Wiedervereinigung; stattdessen rang man in hitzigen Debatten um den besten Weg für die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Eine dieser prägenden Diskussionen fand nur einen Tag nach dem Mauerfall statt, mit dem prominenten Publizisten Gerhard Löwenthal im Zentrum, der bereits damals eine klare Vorstellung von der Zukunft der DDR hatte.

Gerhard Löwenthal vertrat die feste Überzeugung, dass der Kalte Krieg gewonnen sei, weil das westliche System dem sowjetisch aufgezwungenen System überlegen war. Er argumentierte vehement, dass ein System, das die Freiheit unterdrückt, nicht auf Dauer existieren kann. Löwenthal wies den Vorwurf zurück, den Menschen in der DDR ein System aufzwingen zu wollen, und betonte: „Die Menschen wollen die Freiheit.“ Als Beleg führte er an, dass die Menschen von Ost nach West kämen und nicht umgekehrt.

Für Löwenthal war klar, dass die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nur dann einen Sinn hatte, wenn sie die Hoffnung auf Freiheit für die Menschen in der DDR am Leben gehalten hat. Er postulierte, die Freiheit sei unteilbar und man sei verpflichtet gewesen, diese Hoffnung zu nähren, damit die Menschen in der DDR eines Tages selbst über ihre Zukunft entscheiden könnten.

Doch nicht alle teilten Löwenthals Sicht. Kritiker fragten, ob die von Löwenthal gemeinte Freiheit auch die Freiheit sei, die die Menschen in der DDR selbst unter Freiheit verstanden. Es wurde hinterfragt, warum Löwenthal den Menschen in der DDR vorschreiben wolle, was für sie das richtige System sei – nämlich das westliche. Eine besonders bemerkenswerte Beobachtung kam aus dem Publikum: Obwohl es auf den Demonstrationen „von Suhl bis nach Rostock und von Dresden bis Berlin“ Rufe nach Freiheit gab, sei nicht einmal ein Schild, nicht einmal ein Wort nach „Wiedervereinigung“ laut geworden.

Löwenthal konterte, dass die Rufe nach Freiheit, wie das Singen des Deutschlandliedes in Leipzig oder der Prager Botschaft, identisch seien mit dem Wunsch nach freier Selbstbestimmung. Er war überzeugt, dass freie Wahlen der erste Schritt seien und sich daraus alles Weitere ergeben werde. Basierend auf Gesprächen mit Tausenden von DDR-Bürgern glaubte er, dass diese unter Freiheit dasselbe verstünden wie die Menschen im Westen: in einem freien, demokratischen Staat selbstbestimmt wählen zu wollen. Seine Prognose war eindeutig: Bei freien Wahlen in der DDR würden die Vertreter des alten Regimes maximal 15 Prozent der Stimmen erhalten, da die anderen die Freiheit wollten. Er betonte, dass über die Form der Wiedervereinigung alle Deutschen eines Tages abstimmen würden, man schreibe ihnen nichts vor.

Demgegenüber stand die Hoffnung auf einen „deutschen Weg“ zu einem anderen Sozialismus. Es gab die Ansicht, dass der „reale Sozialismus“ zwar gescheitert sei, aber immer noch „viele kluge Leute“ – darunter das Neue Forum und Genossen der SED – einen anderen, interessanten Weg gehen könnten, der nicht zwangsläufig mit den Vorstellungen Löwenthals einhergehe. Löwenthal begrüßte zwar die Existenz von Oppositionsgruppen in der DDR, äußerte jedoch sein Bedauern darüber, dass manche von ihnen noch Illusionen von einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ hegten.

Für ihn war klar: „Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz kann es nicht geben.“ Er argumentierte, dass alle Versuche in diese Richtung, wie der Prager Frühling, gescheitert seien, und forderte auf, ihm einen einzigen „Quadratkilometer“ auf der Erde zu nennen, auf dem Sozialismus je funktioniert habe.

Diese Debatten, wie die von Gerhard Löwenthal geführte, zeigen die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten und die Unsicherheit, die die Zeit unmittelbar nach dem Mauerfall prägten, und wie sich die Vorstellungen von Freiheit und zukünftiger Staatsform erst nach und nach zu einem festen Plan herauskristallisierten.