Es mag klingen wie eine Szene aus Florida oder vom Gardasee, doch wir sind in Halle an der Saale. Hier, auf dem Hufeisensee, wird seit 60 Jahren Wasserski betrieben, und das auf internationalem Niveau. Was viele nicht wissen: Dieser Erfolg begann unter Bedingungen, die von Improvisation und Erfindungsgeist geprägt waren. Das Material? Alles Marke Eigenbau.
In den Anfängen, als der Sport in den 1960er Jahren auf dem Hufeisensee – einem ehemaligen Tagebaurestloch – begann, fehlte es an allem Nötigen. Gute Sportler mit Verbindungen zum Westen konnten sich zwar westliche Bindungen schicken lassen, doch das „große Fußvolk“ musste sich selbst helfen. So wurden beispielsweise die hinteren Schlaufen der Bindungen aus dem Innenleben alter Volleybälle gefertigt. Gummi dafür fand man in Bällen, Reifen und sogar Treckerreifen, die als „Highlight“ galten. Die ersten Ski stammten oft von einem kleinen privaten Tischler. Selbst Neoprenanzüge wurden aus zugeschickten Flicken mühsam zusammengeklebt und genäht.
Doch nicht nur das Material war eine Herausforderung. Auch die Boote, die die Sportler über das Wasser zogen, erforderten ständige Tüftelei. Benötigt wurden Geschwindigkeiten von mindestens 57 km/h nach internationalem Standard. Anfangs kamen oft „frisierte“ Wartburgmotoren zum Einsatz, doch diese reichten nicht aus. Die findigen Enthusiasten bauten Boote mit zwei, drei und sogar vier Motoren. Es wurde sogar mit Ural- oder Düsentriebwerken experimentiert. Ein Meilenstein war der Bau eines Bootes mit einem Opel V8 Motor im Jahr 1969 durch Heiko Hüller, mit dem acht DDR-Meisterschaften gezogen wurden. Später gelang es sogar, Chaika Motoren – V8-Motoren mit 195 PS aus sowjetischen Staatskarossen – für Wasserskiboote zu nutzen. Diese Motoren wurden aus verschrotteten Regierungsfahrzeugen gewonnen, als die DDR auf Volvo umstieg.
Neben dem Bau von Material und Booten war der Sport auch eine harte Schule. Athleten wie Claudia Langrock, Gitte Baumeier, Heiko Hüller, Gabriele Hüller und Olaf Böttcher widmeten jede freie Sekunde dem Sport. Während Gabriele Hüller für ihr Zahnarztstudium lernte, schraubte ihr Mann Heiko am Boot. Zum Training gehörte auch Trockentraining. Die Geschwindigkeiten variierten stark: beim Tanzen oder Figurenlaufen waren es etwa 27 km/h oder zwischen 25 und 32 km/h. Beim Slalom fuhr das Boot 55 km/h, aber die Läufer erreichten auf ihrer Zickzackfahrt zwischen den Bojen 60, 80 km/h und mehr. Bei der Anfahrt auf die Schanze beim Springen beschleunigten die Athleten auf bis zu 100 km/h.
Spektakuläre Stürze gehörten dazu, vor allem bei Schauveranstaltungen wie dem Laternenfest auf der Saale. Während die Zuschauer Stürze sehen wollten, waren sie für die Athleten unangenehm, besonders auf der Saale, die damals als giftiger, schlammiger, toter Fluss beschrieben wird. Es gab ein geheimes Zugeständnis der Stadt: kostenfrei Frischwasser zum Duschen nach dem Training auf der Saale. Ernsthafte Verletzungen waren damals selten, Zehenrisse kamen aber vor. Heute sind spektakuläre Stürze eher die Ausnahme.
Trotz Materialmangel und spärlicher Förderung – Wasserski war nicht olympisch – entwickelten die DDR-Sportler auch innovative Technik. Olaf Böttcher, ein Elektroniker, entwickelte in den 90er Jahren ein Messsystem mit zwei Kameras, das Sprungweiten auf den Zentimeter genau ermitteln konnte und seit 1995/96 bei jeder Weltmeisterschaft eingesetzt wird. Auch für den Slalom gab es einen Videobeweis zur fairen Entscheidung.
Nach dem Mauerfall eröffnete sich eine neue Welt mit vielen Möglichkeiten. Plötzlich hatten die Sportler Zugang zu besseren Materialien. Gepaart mit ihrer in der DDR entwickelten Athletik und Technik explodierten die Leistungen. Mehrfache DDR-Meister wie Gabriele und Heiko Hüller oder Gitte Baumeier räumten bei internationalen Wettbewerben ab und sind heute, auch im Senioren-Bereich (Ü65), mehrfache Europa- und Weltmeister.
Die Begeisterung für den Wasserskisport ist ungebrochen. Was vor 60 Jahren am Hufeisensee in einer kleinen Baracke begann, entwickelte sich zu einem wahren „Sportwunder“ durch unendlichen Einsatz, Improvisation und den unbeugsamen Willen, zur Weltspitze zu gehören. Goldmedaillen bei Welt- und Europameisterschaften zeugen von diesem beeindruckenden Weg.