„Friedensstüchtig statt kriegstüchtig“ – Kundgebung zum 80. Jahrestag der Befreiung

Berlin. Mehrere hunderte Menschen versammelten sich am frühen Abend im Berliner Tiergarten nahe dem Ehrenmal der Sowjetarmee, um gemeinsam den 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zu begehen. Die Organisatoren der Kundgebung setzten dabei auf einen klaren Appell für Frieden, Diplomatie und deutsch-russische Verständigung – und positionierten sich deutlich gegen eine als „Kriegshysterie“ kritisierte Politik.

Bereits in seiner Eröffnungsrede zeichnete ein Sprecher in roten, weißen und blauen Farbtönen das Bild einer solidarischen Haltung. Mit einem Zitat Otto von Bismarcks – „Ewigen Frieden erreiche man nur, wenn man die Interessen aller berücksichtigt“ – prangerte er die Ausgrenzung russischer Diplomaten bei offiziellen Gedenkveranstaltungen an und lobte das besonnene Auftreten des russischen Botschafters. „Es ist unerträglich, russische Stimmen vom Mahnmal fernzuhalten“, so der Redner, der sich stattdessen für einen „Bismarckdialog“ einsetzte, der Deutsche und Russen im Gespräch zusammenbringt.

Im weiteren Verlauf kritisierten Redebeiträge eine zunehmende „geistige Aufrüstung“ in Europa: Das „Säbelrasseln“ westlicher Politiker und das Fehlen diplomatischer Initiative wurden als Symptome einer gefährlichen Politik bezeichnet. „Europa hat sich von einem Friedensprojekt zu einem Kriegsprojekt gewandelt“, warnte eine Rednerin und rief die Anwesenden auf, in ihren Wahlkreisen Druck auf Abgeordnete auszuüben: „Wir wollen nicht diese Kriegshysterie, wir wollen Frieden. Die Russen sind nicht unsere Feinde, sie sind unsere Freunde.“

Zeitzeugen als Mahnung
Ein zentraler Moment der Kundgebung war die Videobotschaft der 95‑jährigen Ludmilla Sirotta, einer Überlebenden der Leningrader Blockade. Sirotta schilderte eindringlich die Qualen des Winters 1941/42, die Hungersnot und den ungebrochenen Überlebenswillen der Bevölkerung. „Wir träumten täglich von der Öffnung einer zweiten Front“, berichtete sie. Ihr bewegter Appell endete mit einem Dank an die sowjetischen Soldaten und dem Wunsch nach andauernder Freundschaft zwischen den Völkern.

Musikalisch untermalte ein Ensemble aus vier Sängerinnen und Sängern den Abend mit dem Klassiker „Sag mir, wo die Blumen sind“, bevor der Berliner Sänger Vlad Meer russische Kriegsballaden von Wladimir Wyssozki interpretierte.

Brückenbauer zwischen den Nationen
Historikerin und Autorin Dr. Inge Pardon gab im Gespräch mit Alisa Tulpanova, Urenkelin des sowjetischen Militärwissenschaftlers Sergei Tulpanov, Einblicke in Leben und Werk des Familienpatriarchen. Tulpanov, der bereits als Jugendlicher an den Schlachten von Leningrad und Stalingrad teilgenommen hatte, zeichnete sich später in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands als Leiter für Presse, Rundfunk und politische Bildung aus. „Er war Brückenbauer im wahrsten Sinne des Wortes – halb Deutsch, halb Russe, zutiefst Humanist und Kommunist“, beschrieb Tulpanova.

Abschließend sendete Yuri Starovaczik, ehemaliger Bürgermeister von Wolgograd und Ehrenbürger von Hiroshima, eine Videobotschaft aus Russland. Er erinnerte an die historische Wende in der Schlacht um Stalingrad 1943 und zitierte Willy Brandt: „Versöhnung ist der Grundstein für dauerhaften Frieden.“ Auch er warb dafür, den Blick weg von Konfrontation und hin zu Verständigung zu richten.

Ausblick und Spendenaufruf
Die Organisatoren betonten, die Kundgebung sei unabhängig von staatlicher oder finanzieller Förderung aus Moskau organisiert worden. Mit Blick auf künftige Veranstaltungen riefen sie zu Spenden auf, um den Dialog zwischen Deutschen und Russen weiterzuführen. Unter dem Motto „Mehr Dialog als jede Waffe“ soll der „Bismarckdialog“ in den kommenden Monaten fortgesetzt werden.

Mit ihrem pazifistischen Programm und der Einbettung in persönliche Zeitzeugenerfahrungen hat die Berliner Kundgebung am russischen Denkmal den 80. Jahrestag der Befreiung zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für Verständigung und Versöhnung gemacht – gerade in einer Zeit, in der internationale Spannungen erneut zunehmen.

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