Ein Reisebericht auf den Spuren von Daniel Oakley
BINZ, RÜGEN – Auf der sonnenverwöhnten Ostseeküste Rügens erhebt sich entlang mehrerer Kilometer ein gewaltiger Betonriegel: Prora, auch bekannt als „Der Koloss von Prora“. Im frühen Morgenlicht steigt Journalist Daniel Oakley aus seinem schlichten Dachzelt, um die Ruinen jenes NS-Monumentalprojekts zu erkunden, das einst als Urlaubserlebnis für Zehntausende konzipiert war.
Ein Heimatlager der NS-Propaganda
Zwischen 1936 und 1939 errichtete das NS-Regime im Rahmen des „Kraft durch Freude“-Programms acht identische Gebäudeblöcke parallel zur Küste – 4,5 Kilometer lang, 3 Kilometer breit sollte der Komplex werden. Clemens Klotz, prämiert von Albert Speer, entwarf Wohnungen für je zwei Gäste, mit Blick zum Meer und sanitären Gemeinschaftseinrichtungen auf der Landseite. Fertiggestellt wurde allerdings nur ein Bruchteil. Mit Beginn des Krieges endeten die Bauarbeiten, und Prora wurde zur Propagandakulisse ‒ nie aber zum belebten Ferienparadies.
Zerfall und Neubeginn
Nach Kriegsende nutzte zuerst die Rote Armee, später die Nationale Volksarmee der DDR und schließlich die Bundeswehr die leerstehenden Hallen. Oakley betritt die Ruine durch ein beißend-kalter Luftzug durchzogenes Treppenhaus und filmt verfallene Ziegelwände, aufgeworfene Betonplatten und Fensteröffnungen, in die inzwischen neue Kunststoffrahmen eingelassen wurden. „Man sieht noch die Dienstgänge im Untergeschoss, wo einst Technik und Kanalisation verliefen“, sinniert der Journalist, während sein Quadrocopter über bröckelnde Decken filmt.
Ein modernes Campinggelände schmiegt sich heute an das Areal, doch für Oakley war der Zugang anfangs schwierig: Eine Registrierungsmaschine verweigerte ihm mehrmals den Einlass. Erst ein hilfsbereites deutsches Paar schaltete die Rezeption ein – und öffnete ihm die Tore zu einem Ort zwischen Luxusvision und Brachland.
Spuren im Beton
In den Ruinen zeigen sich Spuren früherer Nutzungen: In einem Gang fand Oakley einen alten Pkw-Kotflügel, in einem anderen ein verrostetes Autowrack. „Was haben hier für Fahrzeuge gestanden?“, fragt er in die Kamera und lädt seine Zuschauer zur Diskussion ein. Manche Fenster sind mit Platten verschlossen, andere gähnen leer, als wollten sie Erinnerungen hinein- und ins Freie entweichen lassen.
„Wenn Prora vollendet worden wäre, hätte es das größte Hotel der Welt sein sollen“, erklärt Oakley. Kostenschätzungen zufolge wären mehrere Milliarden Euro nötig gewesen, um das Projekt in den Anfangsjahren des Dritten Reichs abzuschließen.
Renaissance am Meer
In den letzten Jahren wurde ein Teil Proras restauriert: Luxuriöse Ferienwohnungen, ein Jugendhostel und ein Hotelkomplex haben Einzug gehalten. An den Abschnitten, die in neuem Glanz erstrahlen, wird deutlich, welch monumentale Dimension das Gesamtprojekt gehabt hätte. Die kantigen Vorsprünge alle 80 Meter erinnern noch heute an jene mächtige Grundform, die Albert Speer einst zum Symbol machtpolitischer Stärke erklären wollte.
Doch die Debatte um Umnutzung und Erinnern bleibt kontrovers: Darf man einen Ort der NS-Propaganda kommerziell bewerben? Befürworter verweisen auf die bewahrende Wirkung aktiver Nutzung, während Kritiker mahnen, die historischen Bruchstellen müssten als Mahnmal erkennbar bleiben.
Aufbruch ins nächste Kapitel
Nach seinem Rundgang blickt Oakley gen Westen, wo bald die Raketenversuchsanstalt Peenemünde auf ihn wartet. Der Weg dorthin führt vorbei an jenen Betontrümmern, die heute als Stein gewordene Frage stehen: Wie gedenkt man einer Architektur, die nie für den Frieden bestimmt war?
Für Daniel Oakley ist Prora mehr als nur ein Fotomotiv: Es ist ein Sinnbild deutscher Geschichte – halb unvollendet, halb gemahnt, und ganz Spiegel einer Zeit, die weder vergehen noch vergessen darf.