„Goldsucher“: Im ökonomischen Labor des VEB Chemische Werke Buna Schkopau

Schkopau, 1968. Statt bunter Konfektionsstoffe dominieren graue Hallen die Landschaft an der Saale­mündung. Hier, im VEB Chemische Werke Buna, rollt eine andere Art von Goldsuche: nicht Edelmetall, sondern verschüttete Wertschöpfung soll gehoben werden. Der DDR-Dokumentarfilm „Goldsucher“ begleitet die Geburtsstunde der sogenannten ökonomischen Labore – ein Modell sozialistischer Gemeinschaftsarbeit zur systematischen Kostensenkung und Leistungssteigerung.

Vom Monolog zur Partizipation
Die Filmbilder öffnen mit einer hitzigen Beratung: Betriebsleiter, Parteisekretär und junge Aktivisten diskutieren über geplante Neuerungen. Kritik an traditionellen Führungsstilen mündet in der Devise „Umdenken“. Statt Anweisungen im Alleingang will man die Belegschaft aktiv einbeziehen – weg vom Monolog des Leiters, hin zu echten Dialogen und Vorschlägen von unten.

Ein junger Schichtarbeiter bringt das auf den Punkt: Er kennt die Anlagen „von oben bis unten“ und will selbst Verantwortung übernehmen. Sein Ehrgeiz ist es, den eigenen Arbeitsplatz wissenschaftlich zu durchforsten, Verlustquellen aufzuspüren und Arbeitsgewohnheiten zu optimieren. So wird er zum „Goldsucher“ – nicht im Flussbett, sondern zwischen Rohrflanschen und Dichtungen.

Die ökonomischen Labore als Motor des Fortschritts
Aus dieser Initiative entsteht das ökonomische Labor:

  1. Neuer Leitungsstil
  • Kurze Wege zwischen Planung und Produktion
  • Einbeziehung der „Schrittmacher“ in Entscheidungsprozesse

2. Freiwillige Aufträge

  • Arbeiter melden sich, um selbständig Kostenanalysen zu erstellen
  • Junge Kollegen entwickeln grafische Darstellungen von Weltstandvergleichen

3. Partnerkooperation

  • Austausch mit Vorlieferbetrieben (z. B. VEB Leunawerke Walter Ulbricht)
  • Exkursionen zur Endfertigung – gegenseitiges Verständnis schafft neue Ideen

4. Ökonomische Zentren

  • Anfänglich eine einfache Tafel, entwickelt zu Schulungs- und Informationsständen
  • Weltstand-Analysen und Kostenkennziffern werden öffentlich zugänglich gemacht

In nur zweieinhalb Jahren stieg die Acryl-Nitril-Produktion um rund 25 %, die Selbstkosten sanken um etwa 6,5 %. Die Neuerung wurde 1968 im Neuen Deutschland gefeiert und wenige Monate später landesweit propagiert.

Zwischen Propaganda und gelebter Praxis
„Goldsucher“ wirkt auf den ersten Blick wie plakative Werkschau: klare Bilder, optimistische Musik, betonte Solidarität. Doch der Film dokumentiert auch echte Diskussionen: Überforderung durch zu viele Aufgaben, Zweifel am Mehrwert der Seminare, Machtfragen bei der Entscheidungsfindung. Die Betonung liegt weniger auf Dogma als auf kritischem Dialog, selbst wenn der Ton mal schärfer wird.

Historiker sehen in den ökonomischen Laboren eine Form entfalteter sozialistischer Demokratie: Arbeiter brachten konkrete Verbesserungsvorschläge ein und erwarteten echte Mitsprache. Gleichzeitig diente das Projekt als Gegenbeispiel zur starren Planwirtschaftsmethode, die häufig top-down agierte.

Lehren für heute
Fast sechs Jahrzehnte später hat sich die Produktionswelt grundlegend gewandelt. Lean Management, Kaizen-Kreise oder Six Sigma erinnern an die ökonomischen Labore – doch hier entstanden sie als staatlich initiierte Massenbewegung. Der Film „Goldsucher“ bietet ein Lehrstück, wie partizipative Qualitätskontrolle funktionieren kann, auch wenn sie ideologisch eingebettet ist.

In Zeiten globaler Lieferketten und steigender Ressourcenkosten lohnt sich ein Blick zurück: Wer die Mitarbeitenden vor Ort ernst nimmt, findet oft das größte ungenutzte Potenzial. Vielleicht war der wahre Schatz, den man in Schkopau barg, nicht nur gesunkene Kosten, sondern das Vertrauen in gemeinsames Nachdenken und Entscheiden.



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