Aufbruch in den Sozialismus: Wie die SED-Parteikonferenz am 9. Juli 1952 die DDR umformte

Am 9. Juli 1952 trat in Berlin die Zweite Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) zusammen – ein Moment, das bis heute als Initialzündung für den systematischen Umbau der DDR gilt. Unter den ehrfürchtigen Blicken der Delegierten legte Walter Ulbricht, Generalsekretär und unangefochtener Motor der SED, den Entwurf zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ vor. Seine Botschaft war deutlich: Die Zeiten eingeschränkter Nachkriegsreformen sind vorbei, nun soll in allen Lebensbereichen konsequent nach sowjetischem Vorbild umgestaltet werden.

Bereits die einleitende Bilanz Ulbrichts trug klare Züge von Legitimationspolitik. Er verwies auf die Erfolge des Zwei-Jahres-Plans von 1948 bis 1950 – steigende Industrieproduktion, Trümmerbeseitigung und raschen Wiederaufbau –, um den Delegierten zu verdeutlichen, dass die SED im Bund mit der Arbeiterklasse handlungsfähig sei. Doch der wahre Dreh- und Angelpunkt seiner Rede war die Ankündigung, nun nicht mehr nur aufzubauen, sondern aktiv den „Sozialismus in einem Land“ zu errichten: Landkollektive sollten gegründet, Schlüsselindustrien verstaatlicht und alle gesellschaftlichen Institutionen der Parteiführung unterstellt werden.

Dieses Manifest der Planwirtschaft ist ohne die Person Ulbrichts nicht zu verstehen. Der Sohn einer Leipziger Arbeiterfamilie hatte schon in der Weimarer Republik für die KPD gekämpft, war in der NS-Zeit im Exil aktiv und kehrte nach 1945 als erfahrener Funktionär zurück. Sein Zwei-Jahres-Plan von 1948 war der Prototyp für die Idee, Wachstum an zentralen Vorgaben festzumachen – eine Idee, die jetzt 1952 ihre ideologische Zuspitzung fand. Ulbricht, so zeigen es Parteidokumente, nutzte die Konferenz auch dazu, Rivalen im Apparat zurückzudrängen und die SED-Herrschaft unmissverständlich abzusichern.

Doch die Rede und der darauffolgende Beschluss waren nicht nur innerparteiliche Machtdemonstration. Sie richteten sich bewusst an ein breiteres Publikum: Die Presse berichtete von jubelnden Betriebsdelegierten, offizielle SED-Amtsblätter feierten den einstimmigen Konsens. Hinter dieser Einheit stieß eine Politik auf Heimatboden, die vielen Bauern und kleinen Gewerbetreibenden fortan erhebliche Einschnitte bescherte: Zwangskollektivierungen, Preisvorgaben und zentrale Produktionsquoten stießen auf Widerstand, der im Juni 1953 in teils blutigen Aufständen gipfelte.

Zeitzeugen erinnern sich, wie die Konferenz noch im Hier und Jetzt des Aufbaus verankert schien – als notwendiger Schritt zur Sicherung des Lebensstandards in einer geteilten Nation. Historiker dagegen werten den 9. Juli 1952 als symbolischen Bruch: Die SED verzichtete bewusst auf schrittweise Reformen und wählte den direkten Weg zur Parteilichkeit aller gesellschaftlichen Bereiche. Die Folge war eine rigide Überwachungsstruktur, die wirtschaftliche Planvorgaben mit politischer Repression verband.

Rückblickend lässt sich sagen: Mit dem Beschluss zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus begann in der DDR eine Phase, in der die Partei ihre Führungsrolle nicht nur beanspruchte, sondern praktisch über das gesamte Leben ausübte. Statt organischer Wurzeln in Betrieben und Gemeinden wucherte eine Top-down-Herrschaft, die soziale Spannungen eher verschärfte als löste. Die Konferenz von 1952 ist damit nicht nur Kapitel in der Chronik der SED, sondern Schlüsselereignis zum Verständnis der späteren Systemkrise – von den Aufständen der frühen Fünfziger bis zur friedlichen Revolution von 1989.

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