Petra Erler zum vermeidbaren Bruch zwischen Ost und West

Als die Berliner Mauer 1989 fiel und die Sowjetunion nur zwei Jahre später auseinanderbrach, schien Europas Zukunft in friedlicher Integration zu liegen. Petra Erler, Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten der DDR unter Lothar de Maizière, verfolgt in ihrem Gespräch mit dem Historiker Dr. Johannes Klotz die Frage, ob die Kehrtwende hin zu einem zunehmend konflikthaften Verhältnis zwischen Ost und West wirklich unausweichlich war – oder ob sich der Riss vermeiden ließ.

Konsiliante Ansätze am Ende des Kalten Krieges
Erler erinnert an das letzte Telefonat zwischen Michail Gorbatschow und US-Präsident George H. W. Bush Senior im Spätherbst 1991. Gorbatschow versicherte seinem Gegenüber, „die Atomwaffen der Sowjetunion unter Kontrolle gebracht“ zu haben. Bush dankte ihm ausdrücklich dafür, dass der Umbruch „friedlich blieb und nicht umschlug in eine Welle der Gewalt oder womöglich freischwebende Atomwaffen“. Dieses Vertrauen prägte die ersten Stunden der neuen Weltordnung – eine Welt, in der der Kalte Krieg als gewonnen galt, der man aber nicht auf den „Trümmern der Berliner Mauer tanzen“ wollte.

Atomwaffen, Abrüstung und neutralitätsorientierte Lösungen
Im Dezember 1991 trafen sich die frühere Führungsriege der Sowjetrepubliken in Alma-Ata, um den Zusammenbruch des Imperiums zu formalisieren. Erler schildert, wie in diesen Verhandlungen nicht nur die Kontrolle der rund 27.000 sowjetischen Kernwaffen geklärt wurde, sondern auch Pläne für eine atomwaffenfreie Zukunft auf dem ehemaligen Hoheitsgebiet erdacht wurden. Die Neutralität der Ukraine wurde vertraglich festgeschrieben, Weißrussland und Kasachstan stimmten einer Überführung der Waffen in die russische Kontrolle zu und vereinbarten Mechanismen gemeinsamer Entscheidungsfindung für den Ernstfall – ein Abrüstungsmodell, das weit über die bislang praktizierte Rüstungskontrolle hinausging.

Vom vorsichtigen Überlegen zum neokonservativen Handeln
Doch während in Moskau noch Abrüstungspläne diskutiert wurden, begann im Pentagon bereits die Überlegung, die militärische Dominanz Amerikas dauerhaft zu zementieren. Erler zitiert frühere CIA-Telegramme, die den Wunsch dokumentieren, Europa noch stärker in die NATO einzubinden, und erinnert an das Bekenntnis Bushs im US-Kongress: „Wir haben den Kalten Krieg gewonnen.“ Anders als sein Nachfolger Bill Clinton, so Erler, sei Bush vorsichtig geblieben und habe die Alliierte nicht missachten wollen.

Mit Clintons Amtsantritt änderte sich das Tempo: Madeleine Albright, damals UN-Botschafterin, fragte Dick Cheney pointiert, „wenn wir doch das beste Militär der Welt haben, warum setzen wir es dann nicht ein?“ Schon 1994 legte die US-Sicherheitsstrategie fest, dass die Vereinigten Staaten „notfalls allein und nötigenfalls militärisch“ handeln würden. Alliierte oder die Vereinten Nationen seien zwar willkommen, doch in der hierarchischen Rangfolge kämen sie erst an zweiter oder dritter Stelle.

Langfristige Machtprojektion und die Rolle der Neokonservativen
Erler macht deutlich, dass es sich nicht um einen kurzen historischen Impuls handelte, sondern um einen strategischen Paradigmenwechsel. Persönlichkeiten wie Paul Wolfowitz, Dick Cheney und später auch John Kaczynski entwickelten schon Anfang der 1990er Jahre Konzepte, mit denen Amerika seine Stellung als einzige Supermacht für Jahrzehnte sichern sollte. „Es ging nicht mehr nur um Abrüstung nach 70 Jahren Imperium“, so Erler, „sondern um die Frage, wie man eine unipolare Welt dauerhaft gestaltet.“

Eine verpasste historische Chance?
Petra Erler plädiert dafür, die Entwicklungen jener Jahre nicht als unabwendbar zu betrachten. Der vorsichtige, konsiliante Ansatz Bushs Senior sei ebenso real gewesen wie die später dominanten neokonservativen Doktrinen. Hätte der Westen die atomare Abrüstung und die politischen Übergangsabkommen in Osteuropa konsequent weiterverfolgt, wäre vielleicht ein anderes Verhältnis zwischen Ost und West möglich gewesen – jenseits von Misstrauen und Machtprojektion.

Doch die Dynamiken der internationalen Politik wirkte stärker als selbst wohlmeinende Absichten. „Die Kräfte“, resümiert Erler, „verschwinden nicht nach irgendeinem Beschluss. Sie wirken weiter und ringen um Durchsetzung ihrer Interessen.“ Der Bruch zwischen Ost und West war demnach nicht das Ergebnis unvermeidlicher Feindseligkeiten, sondern das Resultat bewusster politischer Entscheidungen – und genauso vermeidbar, wie Erler im Gespräch eindrücklich darlegt.

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