Nordhäuser Spirituosen: Ein Blick in die DDR-Trinkkultur

Die DDR hatte eine eigene, unverkennbare Genusskultur – und dazu gehörte zweifellos der Alkohol. Ein Beitrag aus der Reihe „Der Augenzeuge“, der von der DEFA produziert wurde, gewährt einen humorvoll-ironischen Einblick in die Welt der Spirituosenherstellung im VEB Nordbrand Nordhausen. Zwischen Destillierkolben und Verkostungsgläsern entfaltet sich nicht nur eine Geschichte über Liköre und Doppelkorn, sondern auch über den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol in der DDR.

Handwerk und Tradition
„Eine Formel lieb ich wohl, sang der Student. Ihr alle kennt sie ja, es ist der böse Alkohol C2H5OH.“ So beginnt der augenzwinkernde Bericht, der die Herstellung alkoholischer Getränke als beinahe alchemistischen Prozess beschreibt. Im VEB Nordbrand wird Korn gemischt, vergoren, destilliert und schließlich als Doppelkorn oder Likör abgefüllt. Besonders beliebt sind neben dem „Mordhäuser Doppelkorn“ (eine ironische Anspielung auf den berühmten Nordhäuser Doppelkorn) auch Kaffeelikör, Kirschwhisky und Eierlikör – Getränke, die laut der Reportage in der DDR breite Zustimmung finden.

Die Spirituosenherstellung sei eine verantwortungsvolle Kunst, versichert Sieglinde Vogler, Meisterin der Spirituosenherstellung. Regelmäßige Qualitätsprüfungen, bei denen dreimal pro Woche verkostet wird, sollen die gleichbleibende Güte der Produkte sicherstellen. Doch die Reportage geht über die technische Beschreibung hinaus – sie beleuchtet auch die Trinkkultur der Republik.

Die ambivalente Haltung zum Alkohol
Wie denken die Menschen über Alkohol? Diese Frage wird in der Reportage an Verbraucher gerichtet, und die Antworten sind ebenso vielfältig wie vielsagend: Von „Mäßig, mäßig. Nicht schlecht.“ bis hin zu „Früher habe ich tüchtig eingetrunken, jetzt trinke ich gar kein Bier“ oder „Ich trinke den Mordhäuser als Medizin.“ Die DDR-Trinkkultur war geprägt von geselligem Konsum, aber auch von einem pragmatischen Verhältnis zur Wirkung des Alkohols.

Der Beitrag spielt mit dieser Ambivalenz: Während einerseits auf die Beliebtheit von Bier und Korn hingewiesen wird, wird gleichzeitig humorvoll daran erinnert, dass „man ja auch Hustensaft nicht literweise trinkt“. Die Qualitätsprüfer des VEB Nordbrand – darunter auch Meisterin Vogler – versichern dennoch augenzwinkernd, dass sie selbst keineswegs große Trinkfreunde seien. Doch am Ende steht eine freundliche Einladung an alle Genießenden: „Prost!“

Zwischen Nostalgie und Kritik
Die Reportage zeigt eine Gesellschaft, in der Alkohol allgegenwärtig war, aber auch mit einem gewissen Verantwortungsbewusstsein konsumiert wurde. Das Bild des staatlichen Betriebs, in dem unter sozialistischen Bedingungen hochwertige Produkte hergestellt werden, dient dabei sowohl der Selbstvergewisserung als auch der subtilen Reflexion über das Verhältnis von Genuss und Exzess.

In Zeiten, in denen Alkohol kritisch hinterfragt wird, wirkt der Beitrag aus heutiger Sicht fast nostalgisch. Doch hinter der humorvollen Inszenierung verbirgt sich eine tiefere Fragestellung: War der Alkohol eine gesellschaftliche Konstante, ein Symbol für Geselligkeit – oder doch eine stille Flucht vor den Zwängen des sozialistischen Alltags? Die Reportage lässt diese Frage offen, schließt aber mit einem ironischen Augenzwinkern.

So bleibt „Der Augenzeuge“ ein faszinierendes Zeitdokument – ein Spiegelbild der DDR-Gesellschaft, in der der Alkoholgenuss gleichermaßen zelebriert wie kritisch betrachtet wurde.

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