Ostdeutsche in den Eliten: Ursachen und Auswirkungen der Unterrepräsentation

Die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund in den bundesdeutschen Eliten ist Gegenstand einer Studie, die vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DEZIM) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Zittau/Görlitz und der Universität Leipzig durchgeführt wurde. Die vom Bundesfamilienministerium finanzierte Untersuchung analysiert das Ausmaß dieser Unterrepräsentation, ihre Ursachen und Folgen sowie die Wahrnehmung in der Bevölkerung.

Die Studie geht von der Beobachtung aus, dass Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund seltener in Führungspositionen vertreten sind, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Diese Diskrepanz wird als demokratisches und meritokratisches Problem betrachtet, da die Chancen auf Aufstieg in Elitenpositionen stark von der Herkunft abhängen. Zudem wird kritisiert, dass Potenziale ungenutzt bleiben, wenn große Bevölkerungsgruppen in Entscheidungsprozessen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ein weiterer Anstoß für die Untersuchung war die Frage, ob die anhaltenden Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen Ost- und Westdeutschland und die Demokratiedistanz in Ostdeutschland mit der Unterrepräsentation in den Eliten zusammenhängen.

Die empirische Basis der Studie umfasst mehr als 3.500 Biografien aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Verwaltung, Medien, Kultur, Zivilgesellschaft und Religion. Ergänzend dazu wurden knapp 1.800 Personen im Rahmen einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung zu ihrer Wahrnehmung und Bewertung der Unterrepräsentation befragt. Dabei wurden Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund miteinander verglichen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Ursachen und Folgen der Unterrepräsentation aufzuzeigen, ohne eine Gleichsetzung vorzunehmen.

Die Ergebnisse zeigen, dass Ostdeutsche mit einem Anteil von 10,1 % in den Eliten deutlich unterrepräsentiert sind, obwohl ihr Bevölkerungsanteil etwa 19,4 % beträgt. Diese Unterrepräsentation variiert je nach Sektor. Während die Politik annähernd repräsentativ ist, sind Bereiche wie Wirtschaft, Justiz, Verwaltung, Medien und Kultur besonders betroffen, wo die Anteile einstellig sind. Menschen mit Migrationshintergrund machen 9,2 % der Eliten aus, während ihr Bevölkerungsanteil bei rund 26 % liegt. Auch hier zeigt sich eine unterschiedliche Verteilung: Während in der Religion (25,9 %) und der Kultur (19,6 %) eine geringere Unterrepräsentation vorliegt, sind Wirtschaft und Medien mit 13,8 % bzw. 16,4 % stärker betroffen.

Die repräsentative Bevölkerungsbefragung ergab, dass 64 % der Befragten die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und 74,1 % die von Menschen mit Migrationshintergrund wahrnehmen. Dabei wird die Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund stärker als problematisch empfunden. Die Hauptkritikpunkte der Bevölkerung liegen in der mangelnden Vertretung der Interessen und Bedürfnisse der jeweiligen Gruppen sowie in der Abwertung der Betroffenen als „Bürger zweiter Klasse“. Nur 20 % der Befragten glauben, dass die Betroffenen nicht aufsteigen wollen, während ein großer Teil gesetzliche Quoten ablehnt, aber öffentliche Förderung und Maßnahmen zur Stärkung der Stimmen der Gruppen unterstützt.

Ein zentraler Punkt ist, dass die Wahrnehmung der Unterrepräsentation das Vertrauen in das politische System beeinflusst. Ostdeutsche fühlen sich durch ihre Unterrepräsentation häufiger als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen, während dieses Gefühl bei Menschen mit Migrationshintergrund unabhängig von der Repräsentation ähnlich stark ausgeprägt ist.

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurden zusätzliche Aspekte diskutiert. Dabei ging es unter anderem um die Bedeutung von Netzwerken, die Benachteiligung durch informelle Strukturen und Strategien zur Unsichtbarmachung. Besonders hervorgehoben wurde die Rolle westdeutscher Netzwerke, die Menschen mit ähnlichen Biografien bevorzugen und dadurch zur Unterrepräsentation beitragen. Neben gesetzlichen Quoten wurden Fortbildungen, geänderte Ausschreibungspraktiken und die Reflexion von Personalentscheidungen als zentrale Maßnahmen genannt, um die Chancengleichheit zu fördern.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Unterrepräsentation von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund ein fortbestehendes Problem ist, das nicht nur Fragen der Gerechtigkeit aufwirft, sondern auch gesellschaftliche Potenziale ungenutzt lässt. Die Bevölkerung unterstützt eine größere Vielfalt in den Eliten, wobei die Notwendigkeit politischer Maßnahmen kontrovers diskutiert wird. Zielgerichtete Förderung und strukturelle Veränderungen könnten helfen, diese Ungleichheit zu reduzieren und die Integration in Führungspositionen zu verbessern.

Redakteur/Blogger/Journalist/Chronist: Arne Petrich

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Weitere aktuelle Beiträge