Die Stasi im Jahr 1985: Kontrolle und Reaktion auf gesellschaftliche Bewegungen

1985: Die DDR im Blick der Stasi

Das Jahr 1985 war ein Übergangsjahr, das zwischen einer stabilen, aber zunehmend krisenhaften DDR und den Veränderungen auf globaler Ebene lag. Das neue Band der Edition Die DDR im Blick der Stasi beleuchtet, wie die Staatssicherheit dieses Jahr analysierte und welche Berichterstattung das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) an die DDR-Führung weiterleitete. Besonders prägend für die politische Lage war der Machtantritt von Michael Gorbatschow in der Sowjetunion, der das internationale Klima veränderte, aber noch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die DDR-Politik hatte. Die langfristigen Folgen von Gorbatschows Reformpolitik, insbesondere die Perestroika und Glasnost, waren zu diesem Zeitpunkt noch unklar.

Innerhalb der DDR war 1985 von außen gesehen ein Jahr der Stagnation. Die Wirtschaft war zwar durch Kredite aus der Bundesrepublik stabilisiert worden, doch blieben die strukturellen Mängel weiterhin bestehen. Die Umweltproblematik, die wachsende Zahl an Ausreisewilligen und die allgemeine Erstarrung des politischen Systems prägten das Land. In vielerlei Hinsicht befand sich die DDR in einem permanenten Krisenmodus. Eine der Hauptaufgaben der Staatssicherheit in diesem Jahr war es, diese Krisensymptome zu überwachen und Berichte an die Staats- und Parteiführung zu liefern.

Das sowjetische Ehrenmal in Berlin-Triptow, das an den Sieg der Roten Armee über das nationalsozialistische Deutschland erinnerte, spielte in den Berichten der Stasi eine wichtige Rolle. Die Berichterstattung zu diesem Thema umfasste nicht nur die offiziellen Gedenkveranstaltungen, sondern auch die Reaktionen der Bevölkerung. Die jährliche Erinnerung an das Kriegsende war ein hochpolitisches Ereignis, das tief in die kollektive Erinnerung eingriff. Dabei zeigte sich, dass viele Bürger über die Geschichte der DDR und ihre eigene Situation im Land nachdachten. Einige Berichte dokumentieren die Diskussionen, die in diesem Kontext aufkamen – zum Beispiel bei der Landessynode der evangelischen Kirche in Thüringen. In diesen Gesprächen wurde das Thema Kriegsende behandelt, und sogar die sowjetischen Speziallager, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet worden waren, fanden Erwähnung. Diese Lager, die von der DDR-Führung jahrzehntelang totgeschwiegen wurden, wurden in der Diskussion plötzlich wieder aufgerufen, was auf ein wachsendes Bedürfnis nach Aufarbeitung der jüngeren Geschichte hindeutete.

Auch die Frauen für den Frieden, eine der wichtigsten oppositionellen Gruppen der DDR, nahmen das Gedenken zum Anlass, öffentlich zu protestieren. Bei ihrem Nachtgebet in Ostberlin im Mai 1985 nutzten sie die Figur der Trümmerfrauen als Metapher für ihre Veranstaltung. Diese Frauen symbolisierten den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, doch in den Augen der oppositionellen Bewegung standen sie auch für die Zerstörung durch das bestehende politische System der DDR. Ihre Forderungen nach Frieden und einer besseren Zukunft wurden durch das Gedenken an den Krieg in einen breiteren historischen Kontext gesetzt.

Interessanterweise spielten Fluchten und Ausreisen, die in der Wahrnehmung der DDR als größte Bedrohungen galten, in der Berichterstattung des Jahres 1985 nur eine untergeordnete Rolle. Es gab in diesem Jahr keine auffälligen Fluchtbewegungen oder Massenexodusse, die die Staatsführung besonders beunruhigten. In den offiziellen Berichten des MfS wird dieses Thema nur dann relevant, wenn es in westlichen Medien Aufmerksamkeit erregte. Ein bemerkenswerter Fall war die Flucht eines Wasserschutzpolizisten, der mit seinem Patrouillenboot von Potsdam über die Havel nach Westberlin gelangte. Diese Flucht fand jedoch erst dann Eingang in die Berichterstattung des MfS, als westliche Medien darüber berichteten. Es zeigte sich, dass das MfS vor allem auf externe Wahrnehmungen reagierte und weniger auf die eigentlichen Ursachen der Ausreisebewegung einging.

Das Jahr 1985 war also von der Wahrnehmung der DDR-Führung als ein Jahr des Übergangs und der Fortsetzung des „normalen Krisenmodus“ geprägt. Auch wenn die internen Probleme wie Umweltschäden, politische Stagnation und die Ausreisebewegung weiterhin drängten, blieb die öffentliche Diskussion innerhalb der DDR häufig unter der Oberfläche. Die Stasi wiederum konnte eine Vielzahl von Bürgerreaktionen überwachen und analysieren, jedoch war es zunehmend schwerer, die wachsenden Unzufriedenheiten und die Forderungen nach Reformen zu unterdrücken. Die Berichte des MfS zeugen von einer Gesellschaft im Wandel, die trotz der fortgesetzten Kontrolle durch die Staatsmacht immer mehr Raum für Kritik und Debatten schuf. Doch bis zum Ende des Jahrzehnts sollte sich die Situation der DDR grundlegend verändern – auch durch die globalen politischen Entwicklungen, die Gorbatschows Reformpolitik in der Sowjetunion einläutete.

Redakteur/Blogger/Journalist: Arne Petrich

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