Der Vortrag von Eberhard Kittler über die Wege westlicher Autos in die DDR beleuchtet eine facettenreiche Geschichte, in der der Wunsch nach individueller Mobilität in der sozialistischen DDR trotz der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Hürden stets präsent war. Der Mangel an Fahrzeugen und die engen politischen Grenzen formten eine eigenständige und teils umständliche Wege, auf denen westliche Autos in die DDR gelangten. Kittler zeigt, dass dieser Prozess sowohl durch offizielle Kanäle als auch durch inoffizielle, teils geheime Praktiken geprägt war.
Der Mangel an Fahrzeugen in der DDR
Die DDR hatte eine stark begrenzte Automobilproduktion, die vor allem durch die Modelle Trabant und Wartburg geprägt war. Diese Fahrzeuge konnten jedoch den Bedarf der Bevölkerung bei Weitem nicht decken. Der Trabant war aufgrund seiner veralteten Technik und der geringen Produktionseffizienz oftmals das einzige Auto, das den Bürgern zur Verfügung stand, was zu einer langen Warteliste führte. Wer in der DDR ein Fahrzeug besitzen wollte, musste mit erheblichen Wartezeiten rechnen, die je nach Region unterschiedlich lang waren, aber selbst in Städten wie Berlin Monate bis Jahre in Anspruch nehmen konnten.
Neben den Trabanten und Wartburgs konnte die DDR auch auf Importe aus anderen sozialistischen Ländern zurückgreifen, insbesondere auf Škoda-Modelle aus der Tschechoslowakei. Doch auch diese Importe waren begrenzt und reichten nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Der Mangel an PKWs führte in der DDR zu einem allgemeinen Gefühl der Mobilitätsarmut und zu einem wachsenden Bedürfnis nach westlichen Fahrzeugen.
Westliche Autos im Osten: Ungewöhnliche Wege der Mobilität
Trotz der politischen Trennung und der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Wirtschaftsblöcken gelangten immer wieder westliche Fahrzeuge in die DDR, und das auf eine Vielzahl von Wegen. Bereits am Ende des Zweiten Weltkriegs blieben westliche Militärfahrzeuge wie der VW Kübelwagen in der DDR zurück. Diese Fahrzeuge, die ursprünglich für den militärischen Einsatz gedacht waren, fanden ihren Weg in den zivilen Bereich und wurden von den DDR-Bürgern genutzt.
Neben solchen Umfeldern gab es auch andere inoffizielle Wege, wie westliche Autos in die DDR gelangten. In den Jahren nach dem Krieg wurden westliche Fahrzeuge immer wieder durch Umzüge oder Erbschaften nach Osten überführt. Auch religiöse Institutionen spielten eine Rolle, indem westliche Autos, die von Missionaren oder kirchlichen Organisationen gespendet oder überführt wurden, in die DDR gelangten. Des Weiteren nahmen westliche Firmen an Messen, insbesondere der Leipziger Messe, teil und ließen nach dem Event ihre Ausstellungsfahrzeuge zurück, die dann weiterverkauft wurden.
Ein weiteres inoffizielles Mittel war der Schmuggel von westlichen Autos. Besonders prominente Personen, wie Musiker oder hochrangige Persönlichkeiten mit Kontakten zum politischen Establishment, besaßen häufig westliche Fahrzeuge. In einigen Fällen gelangten Fahrzeuge auch über den Zollfreihafen in Rostock in die DDR, wobei diese Überführung durch die strenge Kontrolle und die Abschottung des sozialistischen Staates oftmals mit einem erheblichen Risiko verbunden war.
Der offizielle Weg: Kompensationsgeschäfte mit Volkswagen
Ab 1977 begannen die DDR-Regierung und Volkswagen geheime Verhandlungen über den Kauf von 10.000 VW Golf. Diese Verhandlungen, die mit hoher Geheimhaltung geführt wurden, spiegeln den wachsenden Bedarf der DDR-Bürger nach westlichen Fahrzeugen wider. Die Vereinbarung, die im November 1977 öffentlich bekannt gegeben wurde, beinhaltete die Lieferung von VW Golf nach Ostdeutschland, wobei die Bezahlung durch Kompensationsgeschäfte erfolgte. Dies bedeutet, dass die DDR Volkswagen mit Waren und Dienstleistungen aus eigenen Produktionen bezahlte, was für beide Seiten eine pragmatische Lösung darstellte.
Diese Kompensationsgeschäfte wurden in Ost-Berlin durchgeführt, und die Fahrzeuge sollten ursprünglich dazu dienen, die Kaufkraft in der Hauptstadt abzuschöpfen, wobei der Preis der Fahrzeuge jedoch deutlich unter den ursprünglich geplanten 30.000 DDR-Mark lag. Dies machte den Kauf eines VW Golf für viele DDR-Bürger möglich, allerdings war das Fahrzeug in der DDR ein Luxusgut und nur wenigen zugänglich.
Der VW Golf in der DDR
Die 10.000 VW Golf, die im Rahmen dieser Vereinbarung geliefert wurden, waren keinesfalls Billigprodukte. Sie entsprachen den Fahrzeugen, die auch in der Bundesrepublik verkauft wurden, und waren ein Symbol für westliche Technologie und Qualität. Volkswagen baute sogar ein Netzwerk von Werkstätten in der DDR auf, die nach den gleichen Standards arbeiteten wie in Westdeutschland. Diese Werkstätten unterstützten nicht nur die Wartung der gelieferten Golf-Modelle, sondern auch die der importierten westlichen Fahrzeuge, was die Präsenz westlicher Automobilmarken in der DDR verstärkte.
Weitere Westfahrzeuge in der DDR
Neben dem VW Golf kamen in den 1980er Jahren auch andere westliche Fahrzeuge nach Ostdeutschland, darunter Marken wie Volvo, Mazda, Citroën und Peugeot. Diese Fahrzeuge wurden oft über die Firma Genex, den offiziellen Geschenkdienst der DDR, verkauft. Sie waren aufgrund ihrer Exklusivität deutlich teurer als Fahrzeuge, die in der DDR produziert wurden, was sie zu Statussymbolen machte. Diese westlichen Fahrzeuge waren für die breite Bevölkerung in der DDR kaum erschwinglich, jedoch veränderte sich der Fahrzeugmarkt in der DDR durch die zunehmende Präsenz westlicher Autos zunehmend.
Eigenentwicklungen und Kooperationen
Die DDR versuchte auch, ihre eigenen modernen Fahrzeuge zu entwickeln, um dem Mangel an westlichen Fahrzeugen entgegenzuwirken. Projekte wie der Trabant 610 oder das Wartburg 355 Coupé scheiterten jedoch aus verschiedenen Gründen, unter anderem aufgrund fehlender finanzieller Mittel und einer unzureichend entwickelten Zulieferindustrie.
Ab den 1980er Jahren begannen Kooperationen mit westlichen Automobilherstellern, insbesondere mit Volkswagen. Zunächst wurden in Trabant und Wartburg VW-Motoren eingebaut, später wurden ganze Modelle, wie der VW Polo und der Golf 2, in der DDR produziert. Diese Kooperationen zeigten, wie eng die DDR mit dem westlichen Wirtschaftsraum in der Automobilproduktion verbunden war, auch wenn der politische Rahmen und die staatliche Kontrolle in der DDR weiterhin ein Hindernis darstellten.
Der Vortrag von Eberhard Kittler verdeutlicht, dass der Wunsch nach individueller Mobilität in der DDR trotz politischer Einschränkungen und des begrenzten Angebots an Fahrzeugen stets vorhanden war. Westliche Autos wurden sowohl auf offiziellen als auch inoffiziellen Wegen in die DDR eingeführt und waren sowohl ein Symbol für Status als auch für eine gewisse Antihaltung zum sozialistischen System. Der Fall der Mauer 1989 und die damit verbundene Öffnung des Marktes führten schließlich zu einer Angleichung des Autogeschmacks zwischen Ost- und Westdeutschland, wobei der Wunsch nach westlicher Mobilität und Lebensstandard weiter wuchs.