Wirtschaftliche Unterschiede zwischen Ost und West: Ein Erbe der Teilung

Die wirtschaftliche Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland zeigt sich auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in vielerlei Bereichen, insbesondere beim Thema Erbschaften. Nach wie vor spiegeln sich die einst unterschiedlichen Wirtschaftssysteme der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in der Vermögensstruktur wider. Ein Vergleich der Erbsummen und Vermögensverteilungen verdeutlicht, dass es Generationen dauern könnte, bis sich diese Unterschiede annähern – es sei denn, es erfolgt ein politischer Kurswechsel.

Ein aktueller Blick auf die Liste der 500 reichsten Deutschen, die vom Manager Magazin veröffentlicht wurde, zeigt: Unter ihnen befindet sich lediglich ein einziger Ostdeutscher – Holger Loclair, Chef des Folienherstellers Orafol aus Brandenburg, der auf Platz 314 rangiert. Diese Tatsache steht exemplarisch für die tiefgreifenden wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen Ost und West. Diese Unterschiede sind nicht nur in der individuellen Vermögenshöhe, sondern auch bei Erbschaften deutlich sichtbar. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2021 belegt, dass die durchschnittlichen Erbsummen in Westdeutschland fast doppelt so hoch ausfallen wie in Ostdeutschland: Während in den alten Bundesländern im Schnitt 92.000 Euro vererbt werden, sind es im Osten lediglich 52.000 Euro. Darüber hinaus erben Ostdeutsche insgesamt seltener. Im letzten Jahrzehnt entfielen nur etwa zwei Prozent des gesamten steuerpflichtigen Erb- und Schenkungsvermögens auf ostdeutsche Bürger.

Historische Ursachen der Vermögensungleichheit
Die Wurzeln dieser Ungleichheit liegen tief in der Geschichte der beiden deutschen Staaten. In der DDR verhinderten Enteignungen und umfassende Verstaatlichungen den Aufbau privaten Kapitals. Es fehlte an einer Vermögensbasis, die bis heute in den ostdeutschen Bundesländern spürbar ist. Nach der Wiedervereinigung in den frühen 1990er Jahren kam es zu einer massiven Vermögensverlagerung in den Westen. Besonders ostdeutsche Immobilien wurden häufig von westdeutschen Investoren oder Privatpersonen aufgekauft, begünstigt durch steuerliche Anreize wie Abschreibungsmöglichkeiten. Städte wie Leipzig und Dresden profitierten zwar durch umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen von diesen Investitionen, doch viele ostdeutsche Bürger gingen dabei leer aus – ein Umstand, dessen Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind.

Gegenwärtige Faktoren der Ungleichheit
Die heutigen Ursachen für die wirtschaftliche Schieflage zwischen Ost und West sind vielfältig. Ein entscheidender Faktor ist das nach wie vor deutlich niedrigere Lohnniveau in Ostdeutschland, das die Möglichkeit, Vermögen durch Sparen aufzubauen, erheblich einschränkt. Darüber hinaus hat die demografische Entwicklung die Situation verschärft. Markus Grabka, Wissenschaftler am DIW, weist darauf hin, dass die Bevölkerungszahl in Ostdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen ist. Dies hat auch die Immobilienpreise in der Region gedrückt, was sich direkt auf die Höhe der Erbschaften auswirkt, da Immobilien eine der wichtigsten Vermögenskomponenten darstellen.

Ein weiterer Aspekt ist die Steuerpolitik der letzten 30 Jahre, die nach Ansicht von Experten wie Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit vor allem vermögenden Westdeutschen zugutekam. Während mittlere Arbeitseinkommen durch hohe Abgaben belastet werden, gilt Deutschland nach wie vor als ein Niedrigsteuerland für Vermögen. Dies benachteiligt vor allem die ostdeutsche Bevölkerung, die weniger Vermögen besitzt und stärker auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen ist.

Vermögensungleichheit als gesamtgesellschaftliches Problem
Die wirtschaftliche Ungleichheit ist jedoch nicht allein eine Frage von Ost und West. Sie betrifft zunehmend auch die Kluft zwischen Arm und Reich. Mehr als die Hälfte der Vermögen in Deutschland wird heute nicht mehr durch eigene Arbeit erwirtschaftet, sondern durch Erbschaften und Schenkungen weitergegeben. Diese Entwicklung stellt das gesellschaftliche Versprechen infrage, wonach Bildung und harte Arbeit ausreichend sein sollten, um wirtschaftlichen Aufstieg zu ermöglichen. Insbesondere in Ballungsgebieten sind Immobilienkäufe für Durchschnittsverdiener ohne eine ererbte Finanzspritze kaum noch realisierbar.

Markus Grabka betont, dass diese Form der Vermögensvererbung die soziale Ungleichheit über Generationen hinweg festigt. Dies gefährdet nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, sondern auch die Stabilität der Demokratie. Je ausgeprägter die Ungleichheit, desto größer die Gefahr, dass populistische Parteien Zulauf erhalten und gesellschaftliche Spannungen zunehmen.

Politische Handlungsoptionen
Um die wirtschaftlichen Ungleichheiten zu verringern, sind umfassende politische Maßnahmen erforderlich. Das DIW schlägt vor, ein einmaliges „Grunderbe“ in Höhe von 20.000 Euro an alle 18-Jährigen zu zahlen, um jungen Menschen eine bessere finanzielle Grundlage zu bieten. Eine Reform der Erbschafts- und Schenkungsteuer wird ebenfalls diskutiert. Diese Steuer begünstigt bislang große Vermögen und belastet kleinere Einkommen überproportional. Eine gerechtere Gestaltung könnte zu Mehreinnahmen führen, die wiederum zur Entlastung der unteren und mittleren Einkommensgruppen genutzt werden könnten.

Die Angleichung der wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Ost und West ist ein langfristiges Projekt, das entschlossene politische Maßnahmen erfordert. Es geht nicht nur um die wirtschaftliche Integration, sondern auch darum, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit zu fördern. In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spannungen und globaler Krisen ist es umso wichtiger, nachhaltige Konzepte zu entwickeln, die das Vertrauen der Bürger in den sozialen Aufstieg stärken. Ein gerechterer Zugang zu Vermögen wäre nicht nur ein Gewinn für den Osten, sondern für das gesamte Land.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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