Martin Debes zum Koalitionsvertrag in Thüringen: Ein Balanceakt der politischen Kräfte

Martin Debes zum Koalitionsvertrag in Thüringen | 20.11.24

Der Koalitionsvertrag in Thüringen steht kurz vor der Vorstellung, und die politische Landschaft zeigt sich facettenreich und herausfordernd. Martin Debes vom Stern gab in einem Interview einen detaillierten Einblick in die aktuelle Lage und die Schwierigkeiten, die den Beteiligten bevorstehen.

Eine Koalition mit knappen Mehrheiten
Mit 44 von 88 Stimmen im Thüringer Landtag bleibt die geplante Koalition aus CDU, SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf eine relative Mehrheit im dritten Wahlgang angewiesen. Dies sei, so Debes, ein durchaus riskanter Plan, denn Thüringen hat in der Vergangenheit gezeigt, wie fragil solche Konstellationen sein können. Die Wahl von Thomas Kemmerich 2020 mit Stimmen der AfD ist ein prominentes Beispiel dafür, wie geheime Abstimmungen zu unerwarteten Ergebnissen führen können.

Herausforderungen durch das Bündnis Sahra Wagenknecht
Das BSW, ein politischer Neuling auf Landesebene, stellt eine besondere Herausforderung dar. Einerseits seien große inhaltliche Überschneidungen mit der CDU, insbesondere in der Migrations- und Bildungspolitik, erkennbar. Andererseits sorgten außenpolitische Forderungen, wie der Widerstand gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen, für Spannungen.

Debes betonte, dass die Einigung weniger auf substanzielle Zugeständnisse von CDU oder SPD zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf den strategischen Druck, der auf Sahra Wagenknecht lastet. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl und der Ungewissheit, die 5-Prozent-Hürde zu überschreiten, sei die Stabilisierung des Landesverbandes für Wagenknecht von höchster Priorität. Eine Implosion des Thüringer Verbandes könnte ihre bundesweiten Ambitionen schwer beschädigen.

Die SPD als kritischer Faktor
Innerhalb der SPD war die Zustimmung zur Koalition wohl am schwierigsten zu erreichen. Als verbliebener Teil der vorherigen Rot-Rot-Grünen Regierung agierte sie als Hüterin der errungenen politischen Errungenschaften. Dies machte sie nicht nur zur Verhandlungspartnerin, sondern auch zur inneren Opposition innerhalb der neuen Konstellation.

Nachhaltigkeit der neuen Koalition
Ob die Koalition langfristig stabil bleibt, bleibt laut Debes fraglich. Mit einer Partei wie dem BSW, die erst vor kurzem gegründet wurde und in Thüringen zwischen 60 und 110 Mitglieder zählt, sei eine nachhaltige Zusammenarbeit schwer abzuschätzen. Zwar gebe es im BSW erfahrene Politikerinnen und Politiker, aber ebenso viele Neulinge, die zum ersten Mal politische Verantwortung tragen. Diese Mischung mache das Bündnis unberechenbar, wenngleich Extremismusvorwürfe, wie sie bei der AfD üblich seien, hier nicht zutreffen.

Die politische Situation in Thüringen bleibt spannend. Der Koalitionsvertrag ist ein Versuch, die Kräfte des Landes zu bündeln, um trotz fehlender Mehrheit regierungsfähig zu bleiben. Doch die Zerbrechlichkeit der Konstellation und die Unberechenbarkeit der Akteure könnten jederzeit für neue Turbulenzen sorgen.

Autor/Redakteur: Arne Petrich

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