Wer verstehen will, warum dieser Schauspieler in seinen Rollen oft nichts sagen musste, um alles auszudrücken, muss in seine Akte aus dem Jahr 1961 blicken.
Es ist eine seltene Geste der Anerkennung, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen kurzfristig sein Abendprogramm ändert, um einen Schauspieler zu ehren. Im Fall von Uwe Kockisch, dessen Tod nun eine Lücke in die deutsche Kulturlandschaft reißt, ist sie mehr als angemessen. Denn Kockisch war nicht einfach nur ein populärer Darsteller, der als Commissario Brunetti die Sehnsucht der Deutschen nach Venedig bediente oder als Stasi-General Hans Kupfer in „Weissensee“ Fernsehgeschichte schrieb. Er war ein biografisches Monument der jüngeren deutschen Geschichte. In seinem Gesicht, dieser wettergegerbten Landschaft aus Falten und melancholischer Strenge, spiegelte sich eine ostdeutsche Biografie wider, die von Brüchen, Widerständen und einer stillen, aber ungeheuren Kraft geprägt war.
Um die Wucht seiner schauspielerischen Präsenz zu begreifen, muss man hinter die Kulissen der Erfolge blicken, zurück in eine Zeit, in der der Ruhm noch undenkbar schien. Kockischs Weg begann nicht auf der Bühne, sondern in der totalen Ohnmacht. Als 17-Jähriger versuchte er 1961, kurz nach dem Mauerbau, mit Freunden in den Westen zu fliehen. Der Versuch scheiterte. Die Konsequenz war das Zuchthaus Cottbus, jener berüchtigte Ort, an dem die DDR versuchte, den Willen politischer Häftlinge zu brechen. Ein Jahr lang war er dort nicht Uwe Kockisch, sondern Häftling Nummer 138. Diese Erfahrung, so hat es den Anschein, wurde zum fundierenden Moment seines Lebens und seiner Kunst. Wer in Cottbus überleben wollte, ohne zu zerbrechen, musste lernen zu schweigen und zu beobachten.
Genau diese Fähigkeiten kultivierte Kockisch später vor der Kamera zu einer Meisterschaft, die im deutschen Fernsehen ihresgleichen suchte. Er war kein Schauspieler der großen Gesten oder der lauten Töne. Er spielte nach innen. Seine Figuren trugen oft eine Schwere mit sich, die nicht gespielt wirkte, sondern erlebt. Er hatte gelernt, dass Blicke sicherer sind als Worte, in einer Gesellschaft, in der das falsche Wort das Ende der Karriere bedeuten konnte. Selbst nachdem er die Schauspielschule Ernst Busch absolviert hatte und Theater spielte, blieb er ein Beobachteter, ein Künstler auf Bewährung. Diese permanente Anspannung, das Wissen um die Fragilität der eigenen Existenz, schrieb sich in seine Körperhaltung ein. Er verkörperte jene ostdeutsche Erfahrung, in der das Private stets politisch und das Schweigen oft überlebenswichtig war.
Es entbehrt nicht einer gewissen historischen Ironie, dass ausgerechnet dieser Mann, das einstige Opfer des Systems, seine größte Rolle als Täter fand. In der Serie „Weissensee“ spielte er den Stasi-General Hans Kupfer. Ein weniger reflektierter Schauspieler hätte aus dieser Figur vielleicht einen eindimensionalen Schurken gemacht. Kockisch aber tat etwas viel Gefährlicheres: Er gab dem General Würde und eine zerrissene Menschlichkeit. Er nutzte sein „Archiv der Schmerzen“, seine Erinnerungen an die Vernehmungsoffiziere, nicht für eine Karikatur, sondern für eine psychologische Studie. Er zeigte den Funktionär nicht als Dämon, sondern als einen an seiner Ideologie und der Realität leidenden Mann. Indem er sich die Uniform derer anzog, die ihn einst einsperrten, drehte er die Machtverhältnisse um. Es war eine späte, künstlerische Aneignung der eigenen Biografie, ein Triumph der Kunst über die Diktatur.
Vielleicht war es deshalb nur folgerichtig, dass er sich für die zweite große Rolle seines Lebens, den Commissario Brunetti, einen Gegenentwurf suchte. Venedig, die Stadt ohne Mauern, das Leinen statt der Uniform, die Weite der Lagune statt der Enge von Berlin-Lichtenberg. In Brunetti fand Kockisch eine Leichtigkeit, die ihm die deutsche Geschichte oft verwehrt hatte. Doch selbst unter der Sonne Italiens blieb dieser unverwechselbare Ernst, diese Tiefe, die ihn davor bewahrte, im Seichten zu enden. Dass er seinen Lebensabend schließlich in Madrid verbrachte, auf neutralem Boden, weit weg von den Schauplätzen seiner traumatischen wie triumphalen Vergangenheit, wirkt im Rückblick wie der letzte Akt einer langen Befreiung. Uwe Kockisch hat bewiesen, dass man an der Geschichte nicht zerbrechen muss, sondern sie transformieren kann. Er hinterlässt keine Lücke, die man einfach neu besetzen kann, sondern eine Stille, die bleiben wird.