Der Anfang einer Weltkarriere begann unspektakulär bei einem Spaziergang einer Kindergartengruppe in Karl-Marx-Stadt. Es war nicht der Ehrgeiz der Eltern, der Katarina Witt auf das Eis brachte, sondern der eigene Wunsch eines Mädchens aus der Arbeiterklasse. Dass der Vater in der Landwirtschaft und die Mutter im Gesundheitswesen tätig waren, spielte keine Rolle. Im Sportsystem der DDR hing der Zugang zu Förderung nicht vom Geldbeutel der Eltern ab, sondern von der Eignung des Kindes. Witt wurde gesichtet, weil sie auf dem nassen Eis nicht stürzte, und in eine Maschinerie aufgenommen, die Talente systematisch zu Medaillengewinnern formte.
Der entscheidende Wendepunkt im Leben der jungen Athletin markierte der Wechsel zur legendären Trainerin Jutta Müller. Dieser Übergang war weniger ein Aufstieg als eine Zäsur, die das Ende einer unbeschwerten Kindheit bedeutete. Müller galt als Institution, die absolute Hingabe forderte und deren Trainingsmethoden von unerbittlicher Härte geprägt waren. Es herrschte ein Verhältnis, das professionelle Distanz durch das förmliche Siezen wahrte und gleichzeitig jeden Lebensbereich der Sportlerin durchdrang. Müller kontrollierte nicht nur die Sprünge auf dem Eis, sondern auch das private Erscheinungsbild, die Kleidung und die Frisur ihrer Schützlinge.
Trotz der Härte des Trainings entwickelte sich Witt zu einer überzeugten Repräsentantin ihres Staates. Sie verstand sich selbst als „Diplomat im Trainingsanzug“, eine Rolle, die im Kalten Krieg eine hochpolitische Dimension besaß. Jeder internationale Auftritt war ein Beweis für die Leistungsfähigkeit des sozialistischen Systems. Witt nahm diese Aufgabe an, trat der SED bei und genoss im Gegenzug Privilegien, die dem Durchschnittsbürger verwehrt blieben. Reisen in den Westen, nach Wien oder Paris, waren starke Motivatoren, doch eine Flucht kam für sie nie in Betracht, da die Bindung an Familie und Heimat überwog.
Die Förderung hatte jedoch einen Preis, der vielen erst Jahre später in seinem vollen Ausmaß bewusst wurde. Das Ministerium für Staatssicherheit legte bereits über die siebenjährige Katarina Witt eine Akte an. Unter dem operativen Vorgang „Flop“ wurde ein Kind überwacht, um sicherzustellen, dass die Investition des Staates nicht verloren ging. Die Überwachung reichte tief in die Privatsphäre hinein, beobachtete familiäre Verhältnisse und soziale Kontakte, um jegliche „negative Erscheinungen“ frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Das System traute seinen eigenen Aushängeschildern nicht und sicherte sich gegen jeden möglichen Verlust ab.
Der Blick zurück auf diese Zeit ist heute von einer gewissen Nüchternheit geprägt. Die Absurdität, ein Grundschulkind lückenlos zu beschatten, kommentiert Witt mittlerweile mit Sarkasmus. Dennoch bleibt die Ambivalenz bestehen: Einerseits ermöglichte der Staat durch seine Strukturen einen Aufstieg, der im Westen so vielleicht nicht möglich gewesen wäre, andererseits forderte er dafür die vollständige Vereinnahmung des Individuums. Die Biografie Katarina Witts steht exemplarisch für die komplexe Realität des DDR-Leistungssports, in der Glanz und staatlicher Zwang untrennbar miteinander verwoben waren.