Es ist ein diffuses Gefühl, das sich bei vielen Menschen einstellt, wenn der Staat plötzlich tiefes Interesse an privater Kommunikation zeigt. Die CDU verkauft es als „Kinderschutz“ – doch am Ende steht verdachtslose Durchleuchtung privater Chats. Ein Schritt in Richtung digitaler Kontrollstaat. Unser Medienpolitischer Sprecher Jens Cotta hat dazu im Thüringer Landtag klare Worte gefunden. In den Debatten um digitale Sicherheit mischt sich im Osten Deutschlands oft eine historische Schwere in die Argumente, die im Westen so nicht immer greifbar ist. Die Erinnerung an eine Zeit, in der das gesprochene oder geschriebene Wort nicht nur privat war, sondern auch staatlich „mitgelesen“ werden konnte, bildet den Resonanzboden für die aktuelle Kritik an der sogenannten EU-Chatkontrolle.
Im Thüringer Landtag wurde diese Sensibilität kürzlich greifbar, als die Pläne der Europäischen Union zur Prävention von Kindesmissbrauch debattiert wurden. Was technisch als „Client-Side-Scanning“ bezeichnet wird – das Durchsuchen von Nachrichten direkt auf dem Endgerät vor der Verschlüsselung – weckt Assoziationen an das systematische Öffnen von Briefen durch die Staatssicherheit. Der Vorwurf wiegt schwer: Der Umbau des Rechtsstaates in einen digitalen Kontrollstaat drohe, und das unter dem moralisch kaum angreifbaren Deckmantel des Kinderschutzes.
Besonders in den neuen Bundesländern reagiert man allergisch auf Begriffe wie „anlasslose Überwachung“. Die Rede im Landtag thematisierte dabei explizit die Rolle der Parteien, die sich zwar bürgerrechtlich geben, aber in der Praxis Überwachungsmaßnahmen mittragen würden. Der Verweis auf das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und dessen Umgang mit „DDR-Erfahrung“ zeigt, wie sehr die eigene Biografie als politisches Argument genutzt wird. Es wird die Frage aufgeworfen, wie glaubwürdig der Protest gegen Überwachung ist, wenn man politisch mit Akteuren paktiert, die diese in Brüssel vorantreiben.
Die Kritik beschränkt sich jedoch nicht auf das Scannen von Nachrichten. Auch die geplante digitale Identität der EU gerät ins Visier. Wenn der Zugang zu Behörden, Gesundheitsdaten und dem Bankwesen an eine zentrale digitale ID geknüpft wird, entsteht das Bild des „gläsernen Bürgers“. Für eine Gesellschaft, die die totale Erfassung und die daraus resultierende Kontrollierbarkeit bereits einmal erlebt hat, ist dies kein futuristisches Komfortmerkmal, sondern ein Warnsignal. Die Sorge ist nicht die Technik selbst, sondern die Machtkonzentration, die sie ermöglicht.
Ein weiterer Aspekt der Analyse ist die befürchtete Selbstzensur, die sogenannte „Schere im Kopf“. Wenn Bürger wissen oder auch nur ahnen, dass ihre digitale Kommunikation gescannt werden könnte, ändert sich ihr Verhalten. Die Unbefangenheit geht verloren. In der DDR führte dies dazu, dass man genau überlegte, wem man was erzählte. Die aktuelle Debatte warnt vor einer Rückkehr dieses Zustandes: Ein digitales Klima, in dem man aus Angst vor Sanktionen oder beruflicher Repression lieber schweigt, statt zu widersprechen.
Die Verschärfung des Medienstaatsvertrags in Thüringen wird in diesem Kontext als weiterer Baustein einer De-Anonymisierung des Internets interpretiert. Altersverifikation und Identitätsprüfung werden als Maßnahmen gesehen, die die freie Rede einschränken könnten. Wer eindeutig identifizierbar ist, ist auch sanktionierbar. Diese Logik ist den Menschen im Osten vertraut. Der Schutz der Anonymität ist daher für viele nicht nur ein technisches Feature, sondern ein essentielles Bollwerk gegen staatliche Übergriffigkeit.
Am Ende steht die fundamentale Frage, in welcher Art von Gesellschaft wir leben wollen. Ist Sicherheit das höchste Gut, dem sich Freiheit und Privatsphäre unterordnen müssen? Oder wiegt das Recht auf ein unbeobachtetes Gespräch schwerer? Die leidenschaftliche Ablehnung der „Chatkontrolle“ aus Thüringen ist mehr als nur Oppositionspolitik; sie ist ein Echo historischer Erfahrungen, das mahnt: Wehret den Anfängen, denn was heute freiwillig ist, kann morgen schon Gesetz und übermorgen Zwang sein.