Morgens gemeinsam in die Schicht, abends Tür an Tür im Wohnblock – in Lobeda verschmolzen Arbeit und Privatleben zur totalen Kollektivität.
Am Reißbrett entworfen, aus dem Boden gestampft: Jena-Lobeda war die Antwort auf die Wohnungsnot. Für Zehntausende Zeiss-Arbeiter wurde die Satellitenstadt zur neuen Heimat. Ein Ort mit Fernwärme und Vollkomfort, aber auch ein gigantisches soziologisches Experiment der sozialen Kontrolle.
Ab 1966 wuchsen am südlichen Stadtrand die Kräne in den Himmel. Der Hunger des Kombinats Carl Zeiss nach Arbeitskräften war unersättlich, und diese Menschen brauchten Wohnungen. Lobeda wurde aus dem Boden gestampft – eine Schlafstadt für die „Zeissianer“. Wer hier einzog, hatte oft jahrelang auf der Warteliste gestanden. Der Tausch war simpel: Man gab die Individualität der Altbauwohnung auf und bekam dafür „Vollkomfort“ – Zentralheizung, warmes Wasser aus der Wand und ein eigenes Bad. Luxus, von dem man in der verfallenden Innenstadt oft nur träumen konnte.
Doch Lobeda war mehr als nur Beton. Es war eine Monokultur. Fast alle Bewohner arbeiteten im selben Kombinat. Man fuhr morgens in denselben Bussen zur Arbeit, stand an denselben Maschinen und traf sich abends in denselben Kaufhallen wieder. Diese Homogenität schuf einerseits eine starke Identität und Solidarität unter den Kollegen. Andererseits entstand eine Atmosphäre der totalen sozialen Kontrolle. Wer aus der Reihe tanzte, fiel sofort auf.
Die Infrastruktur hinkte oft hinterher; Schulen und Polikliniken entstanden erst nach und nach. Dennoch entwickelten die Bewohner einen pragmatischen Stolz auf ihren Stadtteil. Lobeda wurde zum Symbol für den modernen Alltag im Sozialismus – funktional, gleichförmig und eng verwoben mit dem Takt der industriellen Produktion.