Es beginnt als harmloser Campingausflug im September 1983, bei dem zwei Männer scheinbar zum Pilzesuchen in den Wald aufbrechen. Doch die Körbe bleiben leer, denn das Ziel von Gerhard Valdiek und seinem Begleiter sind nicht die Wälder, sondern die Freiheit jenseits des Eisernen Vorhangs. Dieser Moment markiert den Übergang von einem staatlich dirigierten Leben in der DDR zu einem lebensgefährlichen Wagnis an der tschechischen Grenze, das blutig endet und das Leben der beiden Familien für immer verändert.
Die Entscheidung zur Flucht reift bei Valdiek nicht über Nacht, sondern ist das Resultat jahrelanger staatlicher Gängelung. Er beschreibt das beklemmende Gefühl, keine wesentlichen Entscheidungen über das eigene Leben treffen zu dürfen, als den Punkt, an dem das Maß endgültig voll war. Reisen waren unmöglich, der Alltag von oben bestimmt. Zusammen mit einem Freund plant er monatelang die Details, studiert Karten und wählt eine Route über die Tschechoslowakei, um das System der DDR dauerhaft hinter sich zu lassen.
Fünfzehn Kilometer legen die beiden Flüchtenden zu Fuß zurück, überwinden Zäune und durchschneiden Drähte mit mitgebrachtem Werkzeug. Sie wähnen sich fast in Sicherheit, als im Niemandsland plötzlich Schüsse fallen. Valdiek wird schwer getroffen: Eine Kugel verletzt sein rechtes Auge, eine andere streift seine Brust. Statt in die erhoffte Freiheit führt sein Weg nun schwerverletzt in die Hände tschechischer Sicherheitskräfte und noch in derselben Nacht zurück zur Staatssicherheit der DDR.
Nach Wochen in strenger Einzelhaft und der Verurteilung zu zwei Jahren und vier Monaten Haft landet Valdiek in der berüchtigten Sonderhaftanstalt Bautzen II. Der Alltag dort ist geprägt von Isolation und strenger Taktung. Er muss im Schichtsystem Zwangsarbeit für die Elektronikindustrie leisten, abgeschottet in kalten Kellerräumen. Die Zelle misst kaum acht Quadratmeter, die Gesellschaft ist erzwungen, und die psychische Belastung durch die Ungewissheit wiegt oft schwerer als die physischen Einschränkungen der Haft.
Kontakte zur Außenwelt werden in Bautzen systematisch unterbunden oder streng reglementiert. Ein einziger Brief pro Monat ist erlaubt, doch oft erreichen die Zeilen die Angehörigen nicht, weil sie angeblich unleserlich geschrieben sind. Besuche der Ehefrau finden unter ständiger Aufsicht eines Offiziers statt, ohne Berührung, ohne Intimität. Ein kurzer Händedruck zur Begrüßung ist das Maximum an menschlicher Nähe, das das Regime in diesen kontrollierten dreißig Minuten zulässt.
Im Juni 1984 ändert sich die Situation schlagartig. Ohne Vorwarnung wird Valdiek an einem Morgen aus seiner Zelle geholt und zusammen mit rund 40 anderen Häftlingen in Busse verfrachtet. Der Konvoi, angeführt von einem goldenen Mercedes, bringt die Gefangenen in den Westen. Es ist der Moment des Häftlingsfreikaufs durch die Bundesrepublik, ein politisches Geschäft mit Menschen, das für Valdiek jedoch die langersehnte Rettung aus der politischen Haft bedeutet.
Das Versprechen des Anwalts Wolfgang Vogel bewahrheitet sich schließlich: Exakt sechs Wochen nach seiner eigenen Ankunft im Westen folgt die Familie nach. Am Bahnhof in Bielefeld wartet Valdiek auf den Zug, der seine Frau und seinen Sohn bringt. Es ist das Ende einer traumatischen Trennung und der Beginn eines neuen Lebens in einer Gesellschaft, in der die Freiheit der persönlichen Entfaltung nicht mehr an einer Grenze mit Waffengewalt endet.