Erich Honeckers frühe Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus und seine Jahre in Haft hinterließen tiefe Spuren – und formten einen Mann, der Kontrolle, Verschwiegenheit und Macht zu seiner inneren Doktrin machte.
1935, mit 23 Jahren, verhaftete ihn die Gestapo als Mitglied der verbotenen KPD. Der Berliner Volksgerichtshof verurteilte ihn zu zehn Jahren Zuchthaus. Später stilisierte Honecker sich zum unbeugsamen Kämpfer gegen den Faschismus. Doch der „Rote Koffer“ des Stasi-Chefs Erich Mielke, der 1990 entdeckt wurde, offenbarte Risse in dieser Erzählung. Darin fanden sich Gutachten, die nahelegten, dass Honecker in den ersten Tagen der Gestapo-Haft Aussagen gemacht haben könnte, die andere belasteten. Ein anderer Bericht entlastete ihn wiederum vollständig. Für Mielke war das Material potenzielles Druckmittel – für Honecker eine lebenslange Hypothek.
Eine noch heiklere Episode betrifft seine Beziehung zu der Gefängniswärterin Charlotte Chanuel. Während eines Arbeitseinsatzes in der Berliner Barnimstraße floh Honecker kurzzeitig aus der Haft – und fand Unterschlupf bei dieser Frau, die Verbindungen zur NSDAP hatte. Nach dem Krieg heiratete er sie heimlich. Als er 1946 bereits an der Spitze der FDJ stand, war diese Ehe sein bestgehütetes Geheimnis – und vielleicht sein einziger emotionaler Kontrollverlust. Die Liebe zur ehemaligen NS-Wärterin passte nicht in das Heldennarrativ des antifaschistischen Kämpfers.
Die Folge war eine Persönlichkeit, die gelernt hatte, ihr Innerstes zu verschließen. Honecker wurde ein Mann ohne erkennbare Regungen, präzise kontrolliert, unnahbar. Zeitzeugen beschreiben ihn als jemanden, der „sein Inneres niemandem offenbarte“. Diese Fähigkeit, zu verbergen und zu funktionieren, war für eine Parteikarriere in der SED von unschätzbarem Wert – und zugleich der Keim einer emotionalen Erstarrung.
Seine Isolationserfahrung in der Haft, die verlorenen Jugendjahre und die ständige Gefahr der Entlarvung formten einen hochsensiblen Machtinstinkt. Honecker wusste, wo Macht war – und wie man sie festhält. Als Staatschef agierte er später als reiner Machttechniker, überzeugt davon, dass Ordnung und Gehorsam die höchste Tugend seien. Er war kein Visionär, sondern ein Architekt des Stillstands.
Vielleicht kann man sagen: In den Jahren des Nationalsozialismus wurde der Lack aufgetragen, der ihn versiegelte. Nach außen glänzte er als antifaschistischer Held – doch unter dieser Schicht lagen Risse, Geheimnisse und eine nie aufgearbeitete Verletzung. Dieser Lack machte ihn widerstandsfähig gegen Kritik – aber auch unflexibel gegenüber Veränderung. Als 1989 die politische Realität sich wandelte, blieb Honecker, was er immer gewesen war: ein Mann, der gelernt hatte, alles zu überstehen – nur nicht, sich selbst zu verändern.