Greifswald in den 1980er Jahren war Schauplatz einer radikalen Umgestaltung, die das mittelalterliche Antlitz der Hansestadt für immer veränderte. Während die DDR mit dem größten Kernkraftwerk des Landes auf Modernität setzte, zerfiel die Altstadt unter den Augen ihrer Bewohner und wurde schließlich systematisch abgerissen. Der Fotograf Robert Konrad hielt das „Sterben der Altstadt“ mit seiner Kamera fest und wurde dafür von der Stasi verfolgt.
Die Altstadt von Greifswald sah in den frühen 80er Jahren aus „wie nach dem Krieg, verkommen in der Mangelwirtschaft“. Paradoxerweise war Greifswald 1945 unversehrt geblieben, da Stadtkommandant Petershagen die Stadt kampflos an die Sowjets übergeben und sie somit vor der Zerstörung gerettet hatte. Doch der anschließende Zerfall während der DDR-Zeit war für viele nicht minder tragisch. Petershagens Witwe warnte 1980 in einem Brief an Erich Honecker vor dem „endgültigen Untergang der alten Stadt“ und einer „nicht wiedergutzumachenden Zerstörung“.
Greifswald wurde neben Gotha und Bernau zur „Teststadt für die sozialistische Umgestaltung von Altstädten“. Über 300 historische Gebäude, darunter viele denkmalgeschützte, wurden abgerissen. An die Stelle von Patrizierhäusern trat die moderne Platte. Dabei wurde keine einzige archäologische Grabung durchgeführt; stattdessen erfolgte der Abriss im Akkord.
Die Beweggründe waren vielfältig. Es herrschte großer Wohnungsmangel, und die alten Häuser waren oft in einem erbärmlichen Zustand: „feuchte Wohnungen, kaputte Dächer, Kachelöfen, Außentoiletten“ – ein Bild von „grau in grau“. Sabine Rotcher und Petra Prei, die seit 1956 in Greifswald lebten, erlebten den Abriss bewusst und empfinden heute noch eine gewisse Traurigkeit, können ihn aber auch verstehen. Sie erinnern sich an den Ausspruch „Ruinen schaffen ohne Waffen“.
Die Lebensbedingungen waren schwierig. Ganze Viertel waren „total von Ratten besetzt“, was zu Geschichten führte, bei denen selbst Kinder die Gefahren erkannten. Aus reinem Selbstschutz nahmen die Bewohner ihre sterbende Stadt im Alltag kaum noch wahr. Doch bei Besuch, insbesondere aus der Bundesrepublik, wurde ihnen schmerzlich bewusst, wie die Stadt aussah, und sie empfanden Scham.
Der Abriss zog sich sieben Jahre lang hin. Mitten in diesem Klima des Untergangs versuchten Studenten, die alten Gebäude zu retten, indem sie einfach einzogen. Robert Konrad, der ebenfalls dort lebte, konnte nur dokumentieren. Die Ideologie der DDR, die Privateigentum ablehnte, und der chronische Mangel an Baumaterial erschwerten jegliche Rettungsversuche zusätzlich. Immerhin konstruierte die DDR-Bauakademie eine spezielle Platte mit Backsteinelementen, eine „hilflose Hommage an die Hansestadt“.
Ursprünglich sollten bis auf wenige alte Häuser und die Kirchen fast alle Gebäude abgerissen werden. Doch kurz vor dem Mauerfall ging der DDR das Geld aus, und so blieb es bei einem Teil dieses Viertels im Plattenbau-Stil. Die beiden Greifswalderinnen haben sich an das Verschwinden der alten Häuser gewöhnt.
Für Robert Konrad leben die alten Häuser nur noch auf seinen Fotos weiter. Er ist heute als Architekturfotograf weltweit unterwegs, doch die Wehmut bleibt. An den „tragischen Abriss“ wird er sich wohl nie gewöhnen. Seine Ausstellung wird als umso wichtiger erachtet, da sie das festgehalten hat, was sonst in Vergessenheit geraten würde. Die Fotos sind ein unschätzbares historisches Dokument einer verlorenen Zeit und einer radikal veränderten Stadt.