Wie Dresden zum Zentrum der Kamerawelt aufstieg

Dresden – Einst war Dresden das pulsierende Herz der globalen Fototechnik, ein Ort, an dem über ein Jahrhundert lang Fotogeschichte geschrieben wurde und Kameras „auf dem Weltmarkt schon spitze“ waren. Heute erinnern nur noch Museumsstücke und Erinnerungen an eine blühende Industrie, die mit wegweisenden Erfindungen die fototechnische Entwicklung vorantrieb.

Dresdens verlorene Bilder: Aufstieg und Fall der Kameraindustrie von Weltruf
Die Geschichte der Dresdner Kameraindustrie begann vor allem nach 1880, als sich ein Firmenimperium bildete, das die weltweit besten Fotogeräte herstellte. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg genossen Kameras aus Dresden Weltruf und standen für außergewöhnliche Präzisionsarbeit. Ein Meilenstein war die IHG, aus der 1936 die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt kam. Auch die Zeiss Ikon AG spielte eine große Rolle, nicht nur bei Fotoapparaten, sondern auch in der Kinotechnik.

Doch der Februar 1945 brachte eine Zäsur: Die Bomben auf Dresden zerstörten nicht nur das historische Stadtzentrum, sondern auch 60 Prozent aller Kameraproduktionsstätten. Hunderte Facharbeiter starben. Siegfried Böhm, damals Kamera-Konstrukteur bei Zeiss Ikon, fand seinen Arbeitsplatz dem Erdboden gleichgemacht vor; alle Unterlagen waren vernichtet.

Wiederaufbau aus Schutt und Asche
Nach der Besetzung durch die Rote Armee im Mai 1945 folgte der zweite Schock: Die Betriebe wurden unter sowjetische Verwaltung gestellt und demontiert. Maschinen und Anlagen im Wert von 40 Millionen Reichsmark gingen als Reparationen in die Sowjetunion – ein materieller Verlust, der beinahe doppelt so hoch war wie der durch die Bomben. Werkmeister weinten, als ihre Maschinen verpackt und abtransportiert wurden. Es schien das endgültige Ende einer großen Ära.

Doch in Dresden war immer noch ein gebündeltes Fachwissen und handwerkliches Können vorhanden. Mit Ehrgeiz und Erfindungsreichtum wollten die Arbeiter die Produktion wieder an die Weltspitze führen. Die Sowjets forderten plötzlich moderne Fototechnik als Wiedergutmachung, was zur Rückführung einiger Maschinen führte.

Unter schwierigsten Bedingungen – oft hungrig, ohne Heizung und mit Stromausfällen – entwickelte Siegfried Böhm auf Befehl der Sowjets ein Kameramodell, das Geschichte schreiben sollte: die Praktica. Sie war handlich, robust, günstig in hohen Stückzahlen herstellbar und einfach im Aufbau. 1949, im Gründungsjahr der DDR, kam die Praktica auf den Markt. Bis 1990 sollten 10 Millionen dieser Kameras die Dresdner Produktionsstätten verlassen. Profis und Amateure weltweit fotografierten mit ihr, und sogar die Japaner bauten die Ur-Praktica „naturgetreu nach“.

Anfänglich ging fast die gesamte Praktica-Produktion als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Von 20.000 Stück pro Jahr blieben lediglich 2.000 für den Inlandsverkauf. Um den sowjetischen Forderungen gerecht zu werden, konzentrierten sich Böhm und seine Mitarbeiter auf die Ausbildung junger Kameraspezialisten. Die Kameraherstellung war Handarbeit auf Hundertstel- und Tausendstel-Millimeter-Niveau, ein Apparat bestand aus „500 bis 700 Einzelteilen“ und erforderte 900 Arbeitsgänge.

Pentacon: Ein Name entsteht
Ab 1951, nach Leistung aller Reparationen, konnte die Weiterentwicklung der Spiegelreflexkameras vorangetrieben werden. Die DDR-Regierung drängte darauf, Prakticas zu produzieren, um Westgeld in die Staatskasse zu spülen. Die Erzeugnisse des VEB Pentacon wurden auf der Kölner Photokina gefeiert, und der Dresdner Betrieb trug dazu bei, den Welthöchststand in der Kameratechnik nicht nur zu halten, sondern mitzubestimmen.

Trotz des Erfolgs gab es große Probleme: Das geteilte Deutschland führte zur Abwanderung qualifizierter Mitarbeiter in den Westen, was „gewaltige Auswirkungen“ auf die Konstruktion und Technologie hatte. Markenrechtsprozesse mit westlichen Unternehmen verschlangen Zeit und Geld. Daher wurde der VEB Zeiss Ikon 1958 in VEB Kinowerke Dresden umbenannt und ein neuer, phonetisch internationaler Name patentiert: Pentacon. Am 1. Januar 1964 wurden auf staatlichen Beschluss die vielen Einzelbetriebe unter dem Namen VEB Pentacon gebündelt, und der Ernemannturm wurde zum gemeinsamen Logo.

Die Kameraindustrie boomte in der Nachkriegszeit, und die Nachfrage nach den preiswerten, robusten Kameras aus Sachsen überstieg schnell das Angebot. Pentacon tätigte in den 50er und 60er Jahren die größten Umsätze in den USA, Westdeutschland, Großbritannien und Australien. Merkwürdige Kompensationsgeschäfte des Staates führten jedoch dazu, dass Kameras wie die Contax gegen Südfrüchte getauscht und weit unter Wert verkauft wurden, was die internationale Absetzbarkeit zerstörte und zur Produktionseinstellung der Contax führte.

Innovationen und Herausforderungen
In den 1960er Jahren entwickelte sich Pentacon zu einem der führenden Exportbetriebe der Republik. Um die Produktion von 40.000 auf 100.000 Kameras pro Jahr zu steigern und mehr Devisen zu erwirtschaften, wurde erstmals in einem sozialistischen Großbetrieb die Fließbandmontage eingeführt, inspiriert von Japan. Dies galt anfangs als „unsozialistisch“ und „kapitalistisch“, doch vor allem Frauen, die für ihre Fingerfertigkeit bekannt waren, sorgten für hohe Produktionszahlen. Täglich verließen 400 Prakticas das Werk, alle 72 Sekunden eine Nova. Besucher aus aller Welt, darunter Amerikaner, Engländer, Franzosen und Japaner, bewunderten das „erste Kameraband Europas“.

Trotz betriebswirtschaftlicher „Katastrophen“ durch Sozial- und Kulturausgaben von 10 Millionen Mark jährlich bot Pentacon seinen 9.000 Mitarbeitern ein breites Spektrum an kostenlosen Angeboten wie Tanzgruppen, Orchester, Sportgemeinschaften und eine Bibliothek. Dies verbesserte das Arbeitsklima erheblich.

Technologisch war Pentacon der Konkurrenz oft einen Schritt voraus. 1970 stellte das Werk weltweit zum ersten Mal Deckkappen aus Plastik her, ein kompliziertes Verfahren, das später internationaler Standard wurde. Japaner besuchten das Werk, um sich die neuesten Entwicklungen anzusehen und waren beeindruckt von den „Meisterleistungen“ der Dresdner Ingenieure.

Die Praktica blieb bis zum Ende der DDR ein Verkaufsschlager, selbst im Weltraum. 1978 fotografierte Sigmund Jähn als erster deutscher Kosmonaut im All mit einer Praktica EE2 und einer Pentacon Six – beide „aus Dresden von Pentacon“.

Der Niedergang: Mangel und verpasste Chancen
Ab Ende der 1970er Jahre machten sich jedoch die Probleme der DDR-Wirtschaft auch bei Pentacon bemerkbar. Der Staat genehmigte keine neuen Investitionen. Fertigungsstätten waren über ganz Dresden verstreut und veraltet. Warenlieferungen kamen nicht oder zu spät, und die Qualität der Zulieferer ließ nach – sogar russischer Edelstahl rostete. Dies führte zu Pannen, wie dem Bruch eines Hebels bei einer Kamera während einer Vorstellung, was den Fotografen Franz Zschäck in Verlegenheit brachte.

Der größte Einbruch kam mit dem Einzug der Mikroelektronik in die Kameratechnik. Der Minister sah die Notwendigkeit des Imports nicht ein und verhinderte die Entwicklung in diesem Bereich. Dies war „der Anfang vom Ende“, da jeder Schaltkreis selbst entwickelt werden musste, während Japan bereits spezialisierte Werke für Elektronik und Verschlussfertigung hatte.

Um das Werk rentabel zu halten, verstrickte sich Pentacon ab 1983 in ein geheimes Rüstungsprogramm des Warschauer Pakts, das 260 Millionen Mark einbrachte. Mitarbeiter wurden aus der Kameraproduktion abgezogen und in den Neubau für ein Panzerabwehrsystem verlegt.

Am 2. Oktober 1990 kam die schockierende Nachricht: „Pentacon Dresden werde stillgelegt“. Umfassende Recherchen der Treuhandanstalt hatten ergeben, dass der Kameraproduzent „nicht überlebensfähig“ sei. Die Bemühungen, mit japanischen Partnern zusammenzuarbeiten, scheiterten, da diese die veralteten Produktionsstätten sahen und ablehnten. Pentacon hatte den „Aufbruch ins digitale Zeitalter verpasst“.

Im Juni 1991 wurde die gesamte Ausrüstung des Werkes versteigert. Mitarbeiter wie Dieter Bockard erlebten, wie Maschinen, in die so viel Mühe und Erfindungsreichtum gesteckt worden war, „für ein Appel und Ei weggingen“ oder auf dem Müll landeten. Mitte der 1990er Jahre wurden viele Produktionsstätten abgerissen, oft als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, bei der ehemalige Mitarbeiter die eigenen Arbeitsplätze demontieren mussten. „Traurig war es im Grunde schon, dass die die Fotoindustrie in in in Deutschland dann damit eigentlich völlig beerdigt worden war“, so ein Zeitzeuge.

Der Name Pentacon existiert noch heute, stellt aber keine Spiegelreflexkameras mehr her. Dennoch hat die Marke Praktica in Europa immer noch einen klangvollen Namen, und Sammler sowie Praktica-Clubs in Holland und England halten die Erinnerung an Dresdens einst ruhmreiche Kameraindustrie wach.