Dreißig Jahre nach der friedlichen Revolution und dem Fall der Berliner Mauer blickt das Vogtland auf eine bewegte Transformationsgeschichte zurück. Was einst eine geteilte Nation war, steht heute vor der Frage, ob die Mauern in den Köpfen der Menschen überwunden sind und ob die Entwicklung die gewünschte Freiheit und Demokratie gebracht hat. Die anfängliche Euphorie einer besseren Zukunft hat sich in vielen Köpfen einer allgemeinen Unzufriedenheit und dem Gefühl der Benachteiligung als Ostdeutsche gewandelt.
Die DDR-Vergangenheit: Ein System der Angst und Unterdrückung Das DDR-Regime war ein System der Unterdrückung und Angst. Über 40 Jahre lang waren die Bürger der DDR regelrecht eingemauert. Die innerdeutsche Grenze, die das Vogtland auf fast 1400 Kilometern durchzog, war ein Symbol dieses nach innen geschlossenen Systems. Sie bestand aus Minenfeldern, Selbstschussanlagen und einem drei Meter hohen Streckmetallzaun; wer sie überwinden wollte, riskierte sein Leben, und Hunderte wurden dabei getötet. Schon der Gedanke, die DDR zu verlassen, wurde vom SED-Regime nicht toleriert. Die Staatssicherheit (Stasi) beschäftigte allein in Plauen etwa 700 offizielle und inoffizielle Mitarbeiter, was zu einer tief verwurzelten Angst vor Verfolgung und Repressalien führte. Dieses „Angstsystem“ wurde von Beginn an etabliert und garantierte die lange Existenz der Diktatur.
Gleichzeitig verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der DDR in den 1980er Jahren drastisch; der totale Bankrott schien nur eine Frage der Zeit. Die Textilindustrie im Vogtland, einst ein großes Zentrum und Versorger des gesamten östlichen Wirtschaftsraums, litt unter veralteten Produktionsmethoden und ständigem Mangel. Die steigende Abwanderung von Fachkräften und die schlechter werdende Versorgungslage waren weitere Probleme.
Der Ruf nach Freiheit und Einheit Im Herbst 1989 entlud sich der über 40 Jahre aufgestaute Unmut. In Plauen gingen am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag der DDR, erstmals Tausende Menschen auf die Straße. Dies war ein historischer Moment: Ohne erkennbare Führung bildete sich ein Demonstrationszug mit mindestens 15.000 Menschen. Sie forderten Reisefreiheit, und vor allem Frieden. Dank der Vermittlung von Superintendent Thomas Küttler, der zwischen Demonstranten und Staatsmacht agierte, blieb die Situation friedlich. Die Staatsmacht lenkte ein und signalisierte Gesprächsbereitschaft.
Der Wunsch nach der deutschen Einheit wurde im Vogtland besonders früh und vehement geäußert. „Deutschland einig Vaterland“ war die zentrale Forderung auf den Demos. Die Menschen wollten so schnell wie möglich Westgeld und die deutsche Einheit, ohne Experimente. Die Euphorie auf ein besseres Leben überwog.
Die Herausforderungen der Transformation Die Wiedervereinigung brachte jedoch auch gewaltige Probleme mit sich. Die Währungsunion, die am 30. Juni 1990 stattfand, hatte zur Folge, dass alles, was bis dahin in den Läden war, über Nacht „verschleudert“ wurde, und die Geschäfte sich plötzlich leer anfühlten. Die DDR-Wirtschaft musste sich 1990 völlig neu ausrichten. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz breitete sich aus, da einstmalige Industriehochburgen abgebaut und liquidiert wurden. Im Vogtland hinterließ der Einbruch der Textilindustrie tiefe Narben, was zu Industrieruinen und hohen Arbeitslosenzahlen führte. Viele Menschen im Vogtland haben seit der Wende nicht mehr gearbeitet, und ganze Generationen sind in Familien aufgewachsen, in denen es keine Arbeit gab.
Viele Ostdeutsche fühlen sich bis heute nicht ausreichend anerkannt. Die These, dass die Politik keine „wirkliche Ostkompetenz“ entwickelt habe und Probleme weggemoderiert wurden, indem man einfach Geld in den Osten schickte, wird geäußert. Professorin Ines Geipel stellt sogar Thesen auf, die einen Zusammenhang zwischen der rechten Szene und der DDR-Vergangenheit herstellen, da die Aufarbeitung der doppelten Diktaturgeschichte nicht ausreichend stattgefunden hat. Sie warnt davor, dass der Osten sich erneut zum „politischen Opfer“ machen lässt und „sehenden Auges in den totalen Einschluss“ läuft. Eine vernebelnde „Ostalgie“ könnte die Sicht auf das wirklich Quälende verleugnen.
Fortschritte und unerwartete Entwicklungen Trotz der Schwierigkeiten gab es im Vogtland auch Erfolgsgeschichten und massive Veränderungen. Die Infrastruktur der Region hat sich enorm verbessert. Es gab einen Sanierungsboom, bei dem Tausende Wohnungen instand gesetzt wurden. Persönlichkeiten wie die Familie Ihring haben sich durch den Kauf und die Sanierung denkmalgeschützter Objekte um den Erhalt wertvoller Bausubstanz verdient gemacht.
Auch wirtschaftlich gab es Lichtblicke:
• Die Plauener Spitze überlebte den Umbruch und zählt bis heute zu den „Top-Modellen der DDR“, auch wenn hohe Investitionsbedarfe bleiben.
• Das Plauener Sternquell Bier entwickelte sich zu einer der ersten erfolgreichen Geschäftsbeziehungen zwischen Ost und West.
• Die Entwicklung des NEOPLAN Omnibus Werks in Plauen wird als eine der Erfolgsgeschichten im Vogtland nach der Übernahme durch die Familie Auwärter genannt.
• Die Region kann auch mit Superlativen aufwarten, wie der Entstehung der modernsten Skisprunganlage Europas in Klingenthal, die die Menschen mit Stolz erfüllt.
Der Blick nach vorn: Mauern in den Köpfen einreißen Drei Jahrzehnte nach dem Umbruch ist der Transformationsprozess noch nicht abgeschlossen und wird sich voraussichtlich noch hinziehen. Die Erinnerung an den real existierenden Sozialismus verwischt, und viele, die das System erlebt haben, sehen heute oft nur noch das vermeintlich Gute daran. Dies birgt die Gefahr der Geschichtsklitterung und entfernt die Gesellschaft von den Werten, für die 1989 gekämpft wurde: Freiheit und Demokratie.
Es ist von entscheidender Bedeutung, sich weiterhin für die Demokratie zu engagieren, denn „Demokratie ist kein Selbstläufer“. Es geht darum, die tiefsitzenden Mauern in uns selbst niederzureißen und das Land als Ganzes zu sehen. Das riesige Glückskapital, das durch die friedliche Revolution gewonnen wurde, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es ist eine ernsthafte Aufgabe, zu verhindern, dass die Gesellschaft in eine neue Diktatur abrutscht. Die junge Generation wird wohl kaum noch Probleme mit dieser Erkenntnis haben.