Die Nachkriegsjahre in Deutschland waren von massivem Wohnungsmangel geprägt, insbesondere auch in der jungen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Um dem entgegenzuwirken und gleichzeitig ein Symbol für den Fortschritt des Sozialismus zu schaffen, setzte die Regierung Anfang der 1970er Jahre auf ein neues, revolutionäres Bauverfahren: den Plattenbau.
Das Konzept war ebenso einfach wie effizient: Häuser wurden aus vorgefertigten Betonplatten zusammengesetzt. Das bekannteste und am weitesten verbreitete Modell war die Wohnungsbauserie 70, kurz WBS70. Diese basierte auf einem Grundschema von 1,20 m x 1,20 m großen Elementen, die nach einem Baukastenprinzip gefügt wurden. Die Gebäudehöhe war meist auf 5, 6 oder 11 Etagen begrenzt, die Fassaden oft mit farbigen, meist orangen Kacheln verziert.
Die Vorteile dieser Bauweise lagen auf der Hand: Die Kosten wurden gesenkt und die Bauarbeiten drastisch beschleunigt. Sobald die Fundamente gegraben waren, dauerte der Bau einer einzigen Wohnung angeblich nur 18 Stunden. Ganze Viertel entstanden so in Rekordzeit.
Für viele Menschen in der DDR bedeutete der Umzug in eine Plattenbauwohnung einen enormen Fortschritt an Lebensqualität. Während Altbauwohnungen oft unrenoviert waren, die Toilette auf dem Hof lag und mit Kohleöfen geheizt wurde, boten die Neubauten modernen Komfort. Man zog in Wohnungen mit Einbauküche, einem Bad mit Warmwasser und Badewanne, Zentralheizung. Zudem war die Infrastruktur in den neuen Plattenbauvierteln, wie dem als Vorzeigeprojekt geplanten Marzahn in Ostberlin, von Anfang an mitgedacht: Kindergärten, Ärzte und Lebensmittelläden waren in unmittelbarer Nähe angelegt – eine Kleinstadt mit den modernsten Errungenschaften.
Nach der Wiedervereinigung änderte sich das Image der Plattenbauten schlagartig. Sie wurden von vielen Westdeutschen mit Herablassung betrachtet und erhielten abfällige Bezeichnungen wie „Arbeiterschließfach“ oder „Wohnklo mit Kochnische“. Die uniformen Siedlungen in Städten wie Berlin, Leipzig, Halle oder Rostock, die sich „wie ein Ei dem anderen“ glichen, galten als Inbegriff der DDR-Monotonie.
Doch das Blatt hat sich erneut gewendet. Dank umfangreicher Sanierungsprogramme wurden viele Plattenbausiedlungen renoviert. Das negative Image verblasste allmählich. Heute gilt das Wohnen in einer „echten DDR-Platte“ wieder als fast schon hip und vor allem als preisgünstig. Besonders begehrt sind sogenannte „Edelplatten“, aufwendig sanierte Plattenbauten, bei denen nicht nur die oft gute Aussicht aus den oberen Etagen als unbezahlbar gilt.
So hat der Plattenbau eine bemerkenswerte Reise hinter sich: Von einer notwendigen und gefeierten Lösung für den Wohnungsmangel über ein Symbol der als rückständig empfundenen DDR bis hin zu einer sanierten und wieder populären Wohnform im vereinten Deutschland.