Persönliche Erinnerungen und die Erkenntnis der „Pleite“ der DDR

Potsdam. Der 4. September 2018. In Potsdam sitzt Herr Stiller und blickt auf alte Filme seines Lebens. Es sind Aufnahmen, die persönliche Momente festhalten – seine damals dreijährige Tochter in der alten Ein-Zimmer-Wohnung mit Küche und Toilette auf halber Treppe. Er selbst mit 22 Jahren, seine Frau. Erinnerungen an die große Liebe, die er in Markkleeberg kennenlernte, während sie noch in der 10. Klasse war und er bereits lernte. Nach seiner Armeezeit zog er nach Karl-Marx-Stadt. Geheiratet wurde 1968.

Die Filme zeigen Geburtstage, Besuche beim Fleischer der Halbschwester bei Leipzig, Fahrten dorthin jedes Jahr. Sie zeigen auch gesellige Anlässe wie Feste im Partykeller. Herr Stiller erinnert sich an eine Verkleidung als Krankenschwester bei einem dieser „sehr guten Feste“.

Ein bedeutender Teil seines Lebens in den 1980er Jahren war die Arbeit auf der Erdgasstrasse „Druschba“. Er war vier Jahre lang Kraftfahrer dort. Diese Trasse wurde in den 70er Jahren für Westdeutschland und Frankreich gebaut. Ab 1984 baute die DDR an der Trasse, die Erdgas aus Russland transportierte und „Freundschaft“ hieß. Auf diesen Baustellen wurden auch Wohnungen (Plattenbauten) und Krankenhäuser errichtet. Die „Ledernackenjacken“, die Rohre verschweißten, verdienten dort angeblich am meisten Geld. Während dieser vier Jahre blieben seine Frau und die Kinder zu Hause. Er selbst fuhr alle Vierteljahre zurück. Herr Stiller berichtet, unglaublich viele Überstunden geschrieben zu haben. Er fuhr einen B1000. Er sah die Verdichter, die das Gas nach der Reinigung 130 km weitertrieben.

Neben der Arbeit zeigen die Filme auch gesellschaftliche Ereignisse wie die 1. Mai Demonstration. Er erinnert sich, Honecker gesehen zu haben und auch Aurich von der Freien Deutschen Jugend, der politische Reden hielt, „dass alles gut war und alles“.

Anfangs glaubte Herr Stiller an den Sozialismus und die DDR. Doch mit der Zeit wurde ihm die Realität bewusst. Im Fernsehen sah er die Situation. „Die DDR war im Prinzip Pleite gewesen“, stellt er fest. „War ja auch so, muss ich dazu sagen“. Er fügt kritisch hinzu: „Aber man hat heute alles noch pleiter gemacht“. Er meint, dass „kein Schwein wusste, dass die DDR schon Pleite war“. Aurich von der FDJ habe es nicht gesagt, „war alles rosa Blüte gewesen“.

Herr Stiller wagte es sogar, bei einer Parteiversammlung seinen Mund aufzumachen. Er äußerte, dass die Russen zu faul seien zum Arbeiten und kritisierte, wie diese schweißten. Das brachte ihm mächtig Ärger vom Parteisekretär ein. Er habe es ja gesehen und gehört, verteidigt er seine Aussage.

Ein emotionaler Moment in den Filmen ist die Grenzöffnung am Bahnhof Drewitz. Herr Stiller sah die Menschen, die gleich rüberfuhren, „verschämt“ an. Er selbst ging erst eine Woche später rüber, um die 100 Euro Begrüßungsgeld für die Familie zu holen. Er konnte es nicht fassen. Er hatte nie gedacht, dass die Grenze fallen würde. Seine Erklärung dafür ist klar: „Weil man uns mit Aktuelle Kamera belogen hatte. Von vorne bis hinten.“. Er vertritt die Meinung, dass die Grenze dazu da sei, damit niemand rüberkommen kann. Aber „bloß wenn das Geld fehlt kann ich das auch nicht machen“, sagt er.

Die Filme zeigen auch Reisen, zum Beispiel nach Leningrad, das heute Sankt Petersburg heißt. Er erinnert sich an Silvester dort und die vielen Russen, die umherfuhren.

Abschließend wird in den Filmen auch eine Frau namens Colette erwähnt, die ihm gefallen hat, auch wenn sie später einen anderen hatte. Er war „unwahrscheinlich“ verliebt in sie. Heute denkt er um Gotteswillen nicht mehr oft an sie.

Der erste West-Urlaub war ein weiteres Ergebnis der neuen Möglichkeiten nach der Grenzöffnung.

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