Die Deutsche Demokratische Republik hatte ein klares Ziel vor Augen: die Steigerung der Produktion tierischer Erzeugnisse. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Geflügelwirtschaft. Doch wie gelang es, den enormen Bedarf an Eiern und Hähnchen zu decken und gleichzeitig gesunde, leistungsfähige Bestände zu sichern? Ein Blick zurück offenbart ein System aus strenger Kontrolle, modernster Technik und detaillierter Planung.
Die Maxime in den landwirtschaftlichen Betrieben der DDR war Effizienz. Um hohe Erträge in der Hühnerhaltung zu erzielen, setzte man auf eine Kombination bewährter und neuer Methoden. Rassenreine Tiere, eine exakt abgestimmte Fütterung und artgerechte Haltungsbedingungen bildeten die Grundlage. Doch das Herzstück der Leistungssteigerung war eine minutiöse Überwachung jeder einzelnen Henne.
Die gläserne Henne: Fallnestkontrolle im Zwei-Stunden-Takt
Um die Legeleistung präzise zu erfassen, kam die sogenannte Fallnestkontrolle zum Einsatz – ein Verfahren, das Disziplin und Genauigkeit erforderte. Alle zwei Stunden mussten die Nester kontrolliert werden. Jede Legehenne trug eine individuelle Nummer am Flügel, die sich in einer detaillierten Legeliste wiederfand. Sobald ein Ei gelegt wurde, erfolgte der direkte Eintrag in diese Liste. Dieses System ermöglichte nicht nur eine schnelle Übersicht über die Gesamtleistung der Herde, sondern auch die genaue Beurteilung jeder einzelnen Henne. So konnten leistungsschwache Tiere identifiziert und züchterische Entscheidungen fundiert getroffen werden.
Doch nicht jedes Ei war für die Weiterzucht geeignet. Eine sorgfältige Selektion war unerlässlich. Die Eier wurden sortiert und mittels Durchleuchtung geprüft. Nur Eier, die den strengen Kriterien für ein gutes Brutei entsprachen – beispielsweise eine intakte Schale und ein zentral liegender Dotter – kamen für die nächste Generation infrage.
Massenproduktion von Leben: Die Ära der Brutapparate
Um den riesigen Bedarf der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs), Volkseigenen Güter (VEGs) und spezialisierten Kükenaufzuchtstationen an Eintagsküken zu decken, war die künstliche Brut alternativlos. Hier kam moderne Technik ins Spiel: riesige Brutapparate, die speziell vorbereitet und vorgeheizt wurden. Ein einzelner dieser Apparate konnte die beeindruckende Menge von 3600 Eiern gleichzeitig bebrüten.
Der Prozess war genauestens durchorganisiert. Kontrollkarten halfen beim regelmäßigen Wenden der Eier, ein entscheidender Schritt für eine gleichmäßige Entwicklung der Embryonen. Ein Hebelgriff brachte die Trommel des Apparates in die Arbeitsposition, bevor der Ventilator für die notwendige Luftzirkulation eingeschaltet wurde. Die Anzahl der eingelegten Eier und das Datum der Einlage wurden akribisch in einer Brutliste dokumentiert – nichts wurde dem Zufall überlassen.
Das Wunder im Ei: 21 Tage bis zum Küken
Hinter den geschlossenen Türen der Brutapparate vollzog sich, was die Natur vorgibt: die Entwicklung neuen Lebens. Lediglich konstante Wärme, ausreichend Sauerstoff und die richtige Luftfeuchtigkeit waren nötig, damit aus den sorgfältig ausgewählten Eiern in exakt 21 Tagen gesunde Küken schlüpfen konnten.
Die embryonale Entwicklung, unsichtbar für das bloße Auge, ist ein faszinierender Prozess:
- Bereits 6 Stunden nach Einlage in den Brutapparat begann sich die Keimscheibe auf dem Dotter zu vergrößern.
- Nach 19 Stunden bildete sich die Primitivrinne, die Vorstufe des späteren Rückgrats.
- Schon nach 48 Stunden begann sich die Wirbelsäule zu formen, und ein winziges Herz hatte bereits zu schlagen begonnen, pumpte Blut durch die feinen Adern des Embryos.
- Am vierten Tag hatte sich das Blutgefäßnetz zur Versorgung des Embryos stark erweitert, dessen Größe sich bereits verdoppelt hatte.
- Einen Tag später, am fünften Tag, begann der Embryo, um seinen Nabel zu schwingen, und die Augen waren als schwarze Punkte erkennbar.
- Am achten Tag war der Embryo stark gewachsen und undurchsichtig geworden, da sich die Gewebe verfestigten. Sogar die Krallenspitzen an den Füßen waren schon zu erkennen. Die Federn waren ebenfalls voll ausgebildet.
- In den folgenden Tagen wuchs der Embryo stetig, während sich im Inneren alle lebenswichtigen Organe wie Leber, Niere und Lunge entwickelten und nach und nach ihre Funktion aufnahmen.
- Am 18. Tag war ein beinahe fertiges Küken entstanden, bei dem lediglich die Lunge noch nicht aktiv atmete.
Kurz vor dem Schlupf wurden die Eier ein zweites Mal durchleuchtet, im Fachjargon „geschiert“. Eine helle Luftblase im Ei signalisierte, dass das Küken lebte und bereit für den nächsten Schritt war. Diese Eier kamen dann in den speziellen Schlupfbrüter.
In der Nacht zum 21. Bruttag war es dann so weit: Die Küken begannen, sich ihren Weg in die Welt zu bahnen. Mit dem sogenannten Eizahn, einer kleinen Spitze auf dem Schnabel, pickten sie ein Loch in die Schale. Dieses Loch erweiterten sie langsam ringförmig am stumpfen Ende des Eis, bis der „Deckel“ aufklappte. Die frisch geschlüpften Küken zwängten sich heraus und fielen durch eine Horde in den darunterliegenden Kükenkasten. Sobald der Großteil der Küken geschlüpft war, wurden die leeren Eierschalen entfernt.
Die Geflügelwirtschaft der DDR war somit ein Paradebeispiel für die Verbindung von biologischem Wissen, strenger Leistungsüberwachung und dem Einsatz fortschrittlicher Technologie. Nur so konnte der hohe Bedarf an tierischen Produkten gedeckt und ein wichtiger Beitrag zur Volksernährung geleistet werden.