Schwerins umstrittener Lenin – Debatte um DDR-Erbe kocht hoch

Opferverbände fordern Entfernung der Statue und planen Verhüllung – Stadt ringt seit Jahrzehnten um Umgang mit dem Monument

Schwerin. Die Debatte um das Lenin-Denkmal im Schweriner Stadtteil Großer Dreesch erreicht einen neuen Siedepunkt. Für den 14. Juni 2025 haben Opferverbände wie die UOKG e.V. und die Lagergemeinschaft Workuta/GULag Sowjetunion e.V. eine Mahnwache und Kundgebung an der Kreuzung Hamburger Allee/Plater Straße angekündigt. Ihre Forderung ist unmissverständlich: „Weg mit der Leninstatue – keine öffentlichen Ehrungen für Verbrecher!“ Als symbolischer Akt des Protests ist eine Verhüllung des umstrittenen Bronzestandbildes geplant.

Das 1985 vom Künstler Soak geschaffene Denkmal ist in Schwerin seit langem ein Zankapfel. Schon seine Aufstellung gestaltete sich bizarr: Da ein Fixierungspunkt für ein Halteseil fehlte, musste eine Schlinge um Lenins Hals gelegt werden, um ihn auf den Sockel zu hieven – eine Szene, deren fotografische Dokumentation auf politische Anweisung hin unter Verschluss blieb, um unerwünschte Interpretationen zu vermeiden. Künstlerisch weicht der Schweriner Lenin von vielen heroischen Darstellungen ab; seine impressionistische Formgestaltung zeugt von den künstlerischen Spielräumen in der späten DDR.

Nach der deutschen Wiedervereinigung, als das Denkmal erst fünf Jahre alt war, entbrannte die Diskussion um seine Zukunft. Trotz langer Debatten empfahl 1993 eine außerparlamentarische Kommission der Stadtvertretung den Erhalt der Plastik – eine Entscheidung, die bis heute Bestand hat. Im Jahr 2007 versuchte man, dem Monument eine Kontextualisierung beizufügen: Eine Texttafel wurde in den Sockel integriert, die über den Dargestellten und sein politisches Wirken informieren soll.

Doch auch diese Geste brachte keinen Frieden. Der Historiker Jörg Ganzenmüller attestierte dem Text gravierende Fehler. Helmut Holter von der Partei Die Linke räumte ein, der Text sei ein „politischer Kompromiss“ gewesen. Er argumentiert, dass Denkmäler Anstöße zur Auseinandersetzung mit Geschichte geben könnten – als „Provokation: Denk mal!“. Diese Haltung steht im scharfen Kontrast zur CDU, die sich zuletzt 2024 für einen Abriss aussprach, und insbesondere zu den Opferverbänden, die in der Statue eine Verhöhnung der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft sehen.

Der Schweriner Streit reiht sich ein in eine deutschlandweite und über die Grenzen hinausgehende Auseinandersetzung mit dem Erbe von Diktaturen im öffentlichen Raum. Während manche DDR-Zeugnisse, wie Wandmosaike, heute eher als Baudenkmäler einer vergangenen Epoche betrachtet werden, bleiben politische Monumente wie Lenin- oder Marx-Engels-Statuen hochgradig umstritten. Historiker wie David Johst merken an, dass es nach 1989 nur wenige spontane Denkmalstürze gab; die meisten Verschwindenlassen seien Ergebnis politischer Beschlüsse gewesen.

Neben Abriss und unverändertem Erhalt gibt es vielfältige Ansätze der Neu-Interpretation. Einfache Plaketten gelten dabei oft als unzureichende Notlösungen. Stärkere Eingriffe wie künstlerische Veränderungen, Ergänzungen oder die Schaffung von Gegendenkmälern werden als wirkungsvollere Methoden der kritischen Auseinandersetzung angesehen – Ideen wie die Zerlegung des Dresdner Lenin-Denkmals („Lenins Lager“) oder Zusätze am „Fäuste-Denkmal“ in Halle illustrieren solche Ansätze.

Eine Quelle bezeichnete das Schweriner Exemplar gar als „Letztes Denkmal im früheren Ostblock“ und beschreibt die Stadt als „ringend“. Dass die Symbolkraft und Kontroverse um Lenin auch außerhalb der ehemaligen DDR virulent ist, zeigte 2020 die Aufstellung eines neuen Lenin-Denkmals in Gelsenkirchen, die ebenfalls massive Gegenproteste auslöste.

Während die Opferverbände am 14. Juni 2025 ein unübersehbares Zeichen für die Entfernung des Schweriner Lenins setzen wollen, ist eine endgültige politische Entscheidung in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns weiterhin nicht in Sicht. Die anstehende Protestaktion dürfte die Diskussion um den angemessenen Umgang mit einem schwierigen Erbe erneut befeuern und die Frage aufwerfen, wie eine Gesellschaft Erinnerung gestaltet, ohne dabei die Gefühle der Opfer zu verletzen.

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