Dresden/Zwickau. Der Neubau der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Zwickau-Mariental entwickelt sich zum „Dauerbrenner“ in den Medien und der Region, wie Abgeordneter Bernt Rudolf (BSW) zu Beginn einer aktuellen Debatte im Sächsischen Landtag feststellte. Auf Antrag der Fraktion BSW diskutierten die Abgeordneten unter dem Titel „Problembaustelle Staat wird die JVA Zwickau zum Millionengrab“ über die gravierenden Probleme und Verzögerungen bei dem länderübergreifenden Projekt zwischen Sachsen und Thüringen.
Das Projekt, das auf Grundlage eines Staatsvertrages von 2014 errichtet wird, sollte auf einem 24 Hektar großen Grundstück in Zwickau-Mariental Platz für 820 Gefangene schaffen. Die ursprünglichen Kosten waren mit rund 150 Millionen Euro veranschlagt, wovon Sachsen 82 Millionen tragen sollte. Der Baubeginn war 2019, das Richtfest 2022. Doch seit 2023 ruht der Bau weitgehend still.
Kostenexplosion und Verzögerungen
Die zentrale Kritik aller Oppositionsfraktionen ist die enorme Kostensteigerung und die unklare Zeitplanung. Laut Abgeordnetem Rudolf und anderen Sprechern sind die Kosten von ursprünglich 150 Millionen Euro über 235 Millionen Euro im Jahr 2021 auf zuletzt 303 Millionen Euro im Jahr 2023 gestiegen. Eine weitere Kostenprognose oder ein fester Fertigstellungstermin liegen derzeit nicht vor. Statt einer geplanten Inbetriebnahme im Jahr 2020 oder zuletzt im ersten Quartal 2025 wird die Eröffnung nach Einschätzung von Abgeordnetem Gepard (Die Linke) nicht einmal mehr in dieser Legislaturperiode erfolgen. Dr. Dringenberg (AfD) sprach von einer Kostensteigerung von satten 100%.
Als Hauptgrund für die aktuellen Probleme wurde die Kündigung des Generalplaners im Jahr 2023 nach dem Auftreten zahlreicher Planungs- und Baumängel genannt. Der Generalplaner sieht sich laut Herrn Rudolf als „Bauernopfer“. Zusätzlich werden die Altlasten auf dem Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks als ein Grund für erhebliche Kostensteigerungen genannt; Beräumung und Dekontamination kosteten bereits mehr als 30 Millionen Euro. Auch externe Faktoren wie Baupreissteigerungen, die Coronapandemie, der russische Angriffskrieg und Lieferkettenengpässe werden als Ursachen angeführt.
Politikum und lokaler Widerstand
Das Projekt war von Anfang an ein Politikum in der Region. Es gab erhebliche Bürgerproteste und mehr als 10.000 gesammelte Unterschriften gegen den Standort, ein Bürgerbegehren wurde vom Stadtrat abgelehnt. Dieser Vorgang habe zu einer erheblichen Spaltung der Bevölkerung in Zwickau geführt, und viele Beteiligte hoffen heute auf das Scheitern des Projekts. Aus Sicht der Stadt Zwickau hat die Kommune Kosten für Erschließungsstraßen, Planung und Gebäudeabriss übernommen, erhält aber eine erschlossene Straße, die niemand nutzen kann, und eine „ewige Baustelle vor der Nase“, ohne zu wissen, wann sie fertig wird. Der Rechnungshof hatte das Projekt bereits 2013 für „schlicht überflüssig gehalten“.
Differenzierte Sichtweisen im Landtag
Die Einordnung der Probleme führte zu unterschiedlichen Bewertungen.
BSW und AfD kritisierten scharf das Management des Projekts und sprachen von einem „sich abzeichnenden Disaster“ und einem „völlig aus dem Ruder gelaufenen Projekt“. Dr. Dringenberg fragte, ob die Staatsregierung ernsthaft versuchen wolle, Berlin mit der „sächsischen Variante des BER“ zu überholen. Kritisiert wurde auch der „offensichtlich verantwortungslose Umgang mit anvertrautem Steuergeld“, der „wütend“ mache. Herr Rudolf forderte eine „schonungslose Bestandsaufnahme“ und dass die Staatsregierung „Farbe bekennen“ müsse.
Die Fraktion Die Linke (Abg. Gepard), die bereits vor über zehn Jahren „Zweifel an der Zweckmäßigkeit“ einer so großen Anstalt geäußert hatte, nannte die Kostensteigerungen „exorbitant“. Sie hob hervor, dass Thüringen inzwischen „ernsthaft über einen Ausstieg aus dem Staatsvertrag nachgedacht“ habe und „über verschiedene Szenarien“ gesprochen werde. Dies berge „immense Risiken für den Haushalt des Freistaates Sachsen“.
Die SPD (Abg. Pfeil) und die CDU (Abg. Pole) hielten den Debattentitel für „zu zugespitzt und populistisch“ und meinten, er „schürt weiter Misstrauen“. Herr Pole betonte, dass die Entscheidung zum Bau einer gemeinsamen modernen Haftanstalt nach wie vor als „gute und effiziente Entscheidung“ angesehen werde, die zeitgemäße und auf Integration ausgerichtete Haftbedingungen ermöglichen werde. Er räumte ein, dass Kosten explodiert seien und Rahmenbedingungen reformiert werden müssten, aber dies mache nicht gleich den „Staat zur Problembaustelle“. Die CDU sehe das Problem komplexer im Kontext der gesamten Hochbautätigkeit des Freistaates.
Staatsminister Piwarz (Staatsregierung) verteidigte das Projekt als „kein Symbol des Scheiterns“, sondern „ein Symbol für Zusammenarbeit und für getragene Verantwortung“. Er betonte die Notwendigkeit des Neubaus, da die alten Anstalten „nicht mehr den Anforderungen an einen zeitgemäßen, sicheren und menschenwürdigen Strafvollzug genügen“. Die Rückschläge seien „gravierend“ und „Mist“, aber die Kündigung des Generalplaners sei „unausweichlich und die einzig richtige Reaktion“ gewesen. Er argumentierte, dass Baupreissteigerungen alle Projekte beträfen und Zwickau „keine Ausnahme“ und auch „kein Negativausreißer“ sei; andere Bundesländer zahlten pro Haftplatz deutlich mehr. Der Staat dürfe sich „nicht lähmen lassen“, sondern müsse den Herausforderungen stellen und „Haltung zeigen“. Ziel sei es, „noch vor der Sommerpause eine tragfähige Einigung zu erzielen“, um das Projekt fortzuführen.
Auswirkungen auf den Justizvollzug
Frau Bibrach (BSW) und Herr Gepard (Die Linke) wiesen auf die Folgen für den Justizvollzug hin. Es gebe Personalmangel, fehlende Wertschätzung und geringe Beförderungsmöglichkeiten. Für die JVA Zwickau fehlten nach jetziger Planung bereits 60 Stellen. Die bestehenden JVA (wie Zeithain oder die alte JVA Zwickau) müssten trotz veralteter Ausstattung und unzureichender Haftbedingungen weiter betrieben werden, obwohl eigentlich massiv investiert werden müsste. Ressourcen würden für „überteuerte Bauvorhaben, die nicht fertig werden“, anstatt für notwendige Investitionen in Resozialisierung und Nachbetreuung verwendet.
Forderungen und Ausblick
Aus der Debatte ergaben sich diverse Forderungen:
• Eine kritische Überprüfung und Aktualisierung der Bedarfszahlen für Haftplätze, da die Analyse aus dem Jahr 2010 stammt.
• Eine ehrliche Neubewertung und mögliche Umplanung des Projekts aufgrund des Zeitverzugs und der Mehrkosten, mit einer seriösen Bau- und Finanzplanung.
• Fokus auf die Fertigstellung des Projekts zur Schadensbegrenzung, da ein Baustopp oder Abriss „in keinem Verhältnis“ stünde und es zum „Milliardengrab“ machen würde.
• Bessere Transparenz und Informationspolitik der Staatsregierung gegenüber der Öffentlichkeit und dem Landtag.
• Klärung von Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen.
• Intensivere Befassung der zuständigen Ausschüsse mit dem Projekt und der Frage, ob an der Größe der JVA festgehalten werden soll.
• Anpacken der grundlegenden Rahmenbedingungen im staatlichen Hochbau, insbesondere Bürokratieabbau und weniger wirtschaftsfeindliche Vorschriften.
• Sicherstellung, dass das Projekt aus sachlicher und ökonomischer Sicht vernünftig abgeschlossen wird.
Trotz der Schwierigkeiten bekräftigte Staatsminister Piwarz den Willen, das Projekt gemeinsam mit Thüringen zu Ende zu führen und die Justizvollzugsanstalt Zwickau zu einem Erfolg zu machen. Die Debatte zeigte jedoch, dass die JVA Zwickau für viele Abgeordnete mehr ist als nur eine Baustelle – sie ist ein Symbol für die Herausforderungen, die bei öffentlichen Großprojekten auftreten können, und ein Prüfstein für das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.