Zwischen Rebellion und Repression: Wie Punkmusik in der DDR Politik wurde

Geralf Pochop (*1964) gehörte der DDR‑Punkszene an. Die staatlichen Repressionen gegen diese Jugendkultur führten dazu, dass er sich zum Oppositionellen entwickelte. Im Mai 1989 wurde seine Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland veranlasst. Heute lebt er im sächsischen Torgau.

In der Videoreihe „Gelebte Geschichte“ werden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus dem Portal www.zeitzeugenbuero.de vorgestellt. Sie berichten in Kurzform über wichtige Stationen in ihrem Leben: Wie verliefen ihre Kindheit, Jugend und der Alltag in der DDR? Wofür haben sie sich engagiert? Wie haben sie den Mauerfall am 9. November 1989 und die Transformationszeit erlebt? Welche Bedeutung messen sie persönlich der deutschen Einheit bei? Was macht ihre Zeitzeugenbiografie besonders und warum wirken sie im Zeitzeugenbüro mit?

Am 6. Mai 2025 leitete das Zeitzeugenbüro der Stiftung Aufarbeitung ein Videointerview mit Geralf Pochop, geboren am 26. März 1964 in Halle (Saale). Pochop, der heute als Zeitzeuge Schulen und Institutionen besucht, schildert eindrucksvoll, wie aus der Faszination für westliche Klänge in der DDR eine politische Haltung wurde – und warum sein Werdegang weit über ein Jugendkultur-Phänomen hinaus von Bedeutung ist.

Vom Musikfan zum Punk-RebellenAufgewachsen in einer DDR, die über Rundfunk und Presse streng kontrollierte, begann Pochops Musikleidenschaft in den 1970er Jahren mit heimlicher West‑Radio‑Kassettenjagd. Glamrock-Bands wie Slade und Sweet zählten zu seinen Favoriten, doch 1977 markierte ein Radiobeitrag in „Musik für junge Leute“ eine Zäsur: Zum ersten Mal hörte er die Sex Pistols und damit den Urknall des Punkrocks. Fußend auf zwei ins heimische Kassettendeck geretteten Songs entwickelte er eine Faszination für eine Musikrichtung, die er bis dato nur aus dichten Nebelschleiern westlicher Medien kannte.

Der erste echte Punk-Moment in der LutherkircheTrotz der wachsenden Begeisterung blieb Punk in der DDR reine Theorie – bis zum Frühjahr 1982. Bei einem Konzert der DDR-Reggaeband Reggae Play in der Lutherkirche in Halle erlebte Pochop erstmals eine heimliche Punk-Veranstaltung: Hinter verschlossenen Türen spielte die Band Buta Feldort, und rund 25 Gleichgesinnte traten in kurzen Haaren, Leder- und zu groß geratenen Jacken auf. Diese Begegnung machte Pochop klar, dass Punk auch in der DDR möglich war – und dass sein Aussehen zur Provokation wurde.

Repression als Motor politischer RadikalisierungMit dem Imitieren typischer Punk-Mode stieß Pochop auf erbitterten Widerstand von Gesellschaft und Staat. Er berichtet von Schikanen, polizeilichen Kontrollen und dem Eingriff der Staatssicherheit, die den Jugendlichen als „staatsfeindlich“ abstempelte. Aus anfänglicher Begeisterung wurde bitterer Ernst: Pochop beteiligte sich an Prozessen wie der Erklärung der 100 und schrieb für die Untergrundzeitung Morningstar. Aus dem Konsumenten westlicher Musik wurde ein aktiver Kritiker des DDR-Systems.

Abschiebung, Mauerfall und NeubeginnIm Rahmen der Stasi-Operation „Symbol/Nelke 89“ wurde Pochop wenige Tage vor der letzten DDR-Wahl im Mai 1989 in einem Sonderzug in den Westen abgeschoben. Dort erlebte er am 9. November 1989 den Mauerfall mit – zunächst ungläubig, schließlich mit großer Erleichterung. In den frühen 1990er-Jahren eröffnete Pochop in Halle einen Schallplattenladen, der sich bald zum Kultort für Subkultur und alternative Musikszene entwickelte.

Vom Verfemten zum VermittlerHeute nutzt Geralf Pochop seine Erfahrungen, um jungen Menschen den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie nahezubringen. Er betont, wie gefährlich es ist, wenn ein Staat individuelle Freiheiten bis zur Frisur unterdrückt – und appelliert an Schulen, seine Biografie als warnendes Beispiel zu behandeln. Sein Engagement zeigt, dass Jugendkultur immer auch politisch ist – und dass der Kampf um Selbstbestimmung jenseits aller Genregrenzen stattfindet.

FazitGeralf Pochops Lebensweg verdeutlicht: Punk war in der DDR weit mehr als nur ein Musikstil. Er wurde zur Geste der Selbstbehauptung und zum Symbol für Widerstand. Seine Geschichte mahnt dazu, politische Repression nie zu verharmlosen – und erinnert daran, wie eng Popkultur und politische Freiheit oft miteinander verwoben sind.



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