Andreas Schönfelder – Ein unbeugsamer Geist aus Großhennersdorf

Oberschlema/Großhennersdorf. Inmitten ländlicher Ruhe im sächsischen Großhennersdorf sitzt ein Mann in seinem behutsam eingerichteten Arbeitszimmer und blättert in alten Notizheften. Andreas Schönfelder, Jahrgang 1958, war einer der ersten mutigen Köpfe der DDR-Opposition im Erzgebirge. Heute erzählt er im Zeitzeugenbüro auf www.zeitzeugenbuero.de von seinem Kampf gegen gesellschaftliche Engstirnigkeit, von heimlichen Lesekreisen und subkulturellen Treffpunkten – und vom unerschütterlichen Glauben daran, dass Widerstand erst beginnt, wenn man das Unaussprechliche ausspricht.

Jugend zwischen Kalkstein und Klassenfeindschaft
Geboren in Oberschlema und aufgewachsen in Aue, erlebte Schönfelder seine ersten 13 Jahre „weitgehend schön“, wie er sagt. Die Kleinstadt bot ihm ein weitgehend unpolitisiertes Aufwachsen, in dem man „Zugang zu jedem Menschen hatte, den man interessant fand.“ Doch hinter dieser Idylle brodelte schon in den 1970ern ein geheimes Leben der Jugendlichen: Punkmusik, heimlich überspielte Kassetten, Konzerte im Hinterzimmer. Schönfelder war „untercover als Kind“, fand seine Freude „an dem, was eigentlich verboten war.“

Mit Beginn der Berufsausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur verschärfte sich der Ton: Im Staatsbürgerkundeunterricht widersprach er 1974 einer Lehreraussage über den Eurokommunismus. Als er die im Neues Deutschland abgedruckte Rede von Georges Marché in Frage stellte, stellte die Schule ihn vor die Wahl: öffentlich abschwören oder fortan als Klassenfeind gelten. „Ich habe niemals die Sache zurückgenommen“, erinnert sich Schönfelder. Das trieb ihn irgendwann zur Erkenntnis: „Entweder ich finde hier noch irgendetwas oder ich muss raus.“

Flucht ins Unbekannte – Ankunft in Großhennersdorf
1977 brach Schönfelder mit dem Eisenerz-Konzern Wismut, verließ Oberschlema und suchte Zuflucht in Großhennersdorf. Dort fand er Anschluss an jene kirchlichen und friedenspolitischen Netzwerke, die im ländlichen Raum der DDR wie verborgene Oasen wirkten. „Ich hatte den Fünfer im Lotto in Sachen Opposition gewonnen“, beschreibt er im Rückblick jene Begegnungen mit Gleichgesinnten. Schnell engagierte er sich im „sozialen Friedensdienst“ – einer Gegenbewegung zum neuen Wehrkundeunterricht –, organisierte Lesekreise, tauschte heimlich Flugblätter und begann, sein politisches Bewusstsein in die Tat umzusetzen.

Die Umweltbibliothek als Hort des Ungehorsams
1986 begegnete ihm in Berlin das Modell, das sein Leben nachhaltig verändern würde: die unabhängige Umweltbibliothek. Inspiriert von diesen leuchtenden Punkten der Freiheit, gründete Schönfelder mit Freunden in Großhennersdorf eine eigene Ausleihe verbotener Schriften und ökologischer Zeitschriften – „zunächst ohne Dach, dann mit Regalen“. Innerhalb kurzer Zeit wuchs die Sammlung, bald fanden in bundesweit 120 Subkultur-Zeitschriften Berichte über Umweltzerstörung, DDR-Repression und Alternativentwürfe ihren Weg in entlegene Dörfer.

Die Bibliotheken wurden zu „Knotenpunkten der Opposition“: Sie lieferten nicht nur Informationen, sondern vernetzten junge Menschen, die ihre Stimme erheben wollten. „Wir wussten, in einer Diktatur gibt es Möglichkeiten, sich zu artikulieren“, sagt Schönfelder.

9. November 1989 – Zittau im Lichtermeer
Den historischen Abend des Mauerfalls erlebte Schönfelder nicht in Berlin, sondern auf einer Demonstration in Zittau: Zehntausende junger Menschen zogen mit Kerzen zum Haus der Staatssicherheit. „Die Angst war weg, und die richtigen Forderungen kamen auf den Tisch“, erinnert er sich. Erst spät erfuhr er, dass auch die Mauer geöffnet worden sei. Einen Tag später war er in Berlin, im Haus der Initiativgruppe Neues Forum bei Bärbel Bohler. Die Euphorie der friedlichen Revolution war groß – doch bereits am 10. November ahnte Schönfelder: „Die neue Gesellschaft ist übermächtig, unsere Oppositionsprojekte laufen aus.“

Einheit: Utopie, Bruch oder Neubeginn?
Heute, über 35 Jahre später, blickt Andreas Schönfelder kritisch auf das vereinte Deutschland. Der Osten sei „bis weit in die Mitte hinein sowjetisiert“ geblieben und habe nie gelernt, voll aktiv am demokratischen Gemeinwesen teilzuhaben. Zugleich vermisst er im zusammenwachsenden Land den Willen zum gemeinsamen Reflektieren: „Es kann nur nach vorn gehen – oder es geht schief.“ Eine „Läuterung in Ost und West“ hält er für möglich, wenn das ungelöste Ost-West-Gefälle ernsthaft angesprochen werde.

Zeitzeuge aus Überzeugung
Im Zeitzeugenbüro der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wirkt Schönfelder mit, um seine Erinnerungen zu bewahren. Er ist sich bewusst, dass sein Einsatz für viele junge Menschen heute nur noch historisches Interesse weckt. Doch der 65-Jährige bleibt überzeugt: „Man kann nicht einfach zusehen, wie Diktatur ungesühnt bleibt.“ Sein Vermächtnis ist nicht der Mythos des Helden, sondern die Mahnung, bei Ungerechtigkeit nicht wegzusehen.

Andreas Schönfelders Lebensweg vom widerspenstigen Lehrling in Aue zum unerschrockenen Bibliothekar der Umweltbewegung exemplifiziert jene leisen Widerstände, die letztlich die DDR erschütterten. Sein Beispiel zeigt: Schon ein kleiner Kreis unbeugsamer Menschen kann große Wirkung entfalten – ein Denkanstoß in Zeiten, da politisches Engagement oft nur online stattfindet.



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