Integration von Menschen mit Behinderung in der DDR: Das Beispiel VEB Robotron

In der DDR war Arbeit nicht nur wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch eine gesellschaftliche Pflicht. Doch wie wurde mit jenen umgegangen, die nicht der Norm entsprachen? Ein Blick auf die geschützte Betriebsabteilung des VEB Robotron in Riesa gibt interessante Einblicke in das damalige System der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung.

Seit 1985 existierte in dem Elektronikbetrieb eine speziell eingerichtete Abteilung für Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen. 33 Mitarbeiter fanden hier eine feste Beschäftigung – 28 von ihnen mit psychischen, fünf mit physischen Behinderungen. Ihr Arbeitsalltag war geprägt von einer auf ihre Fähigkeiten abgestimmten Produktion. In dieser geschützten Umgebung montierten sie elektronische Bauteile für Fernseher, Büromaschinen und Computer. Dabei leisteten sie zusammen die Arbeit von 17 vollbeschäftigten Kollegen – bei einer Fehlerquote von lediglich 0,8 bis 1,2 Prozent.

Ein Arbeitsplatz als Lebensinhalt
Für viele der Betroffenen war der Arbeitsplatz mehr als nur eine Einkommensquelle. „Ich möchte ohne Arbeit nicht leben“, erklärte ein Mitarbeiter. „Ich brauche die Arbeit und den Kontakt zu anderen Menschen.“ Ähnlich äußerten sich andere Kollegen. Die Struktur des Arbeitsalltags gab ihnen Stabilität und half, ihren Alltag sinnvoll zu gestalten. Vier Pausen pro Tag ermöglichten regelmäßige Erholungsphasen, während die offene Gestaltung der Räume soziale Interaktion förderte.

Der Leiter der Abteilung, Roland Mayer, sah seine Arbeit als mehr als nur eine betriebliche Notwendigkeit: „Diese Tätigkeit macht mir viel Spaß. Ich denke, dass ich dazu beitragen kann, dass sich die Behinderten nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in ihrer Freizeit wohler fühlen.“ Unterstützt wurde er von vier Betreuerinnen, die sich um die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten kümmerten.

Soziale Verantwortung in der sozialistischen Planwirtschaft
Die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsprozess entsprach dem sozialistischen Ideal der DDR, das jedem Bürger eine sinnvolle Tätigkeit zusprach. Doch während diese geschützten Abteilungen eine sinnvolle Lösung boten, waren sie nicht flächendeckend vorhanden. Viele Menschen mit Behinderungen fanden keinen Platz im regulären Arbeitsmarkt. Die Erzählungen der Beschäftigten von Robotron zeigen jedoch, dass dort, wo solche Strukturen geschaffen wurden, Arbeit nicht nur als Pflicht, sondern auch als Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe verstanden wurde.

Heute, mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR, stellt sich die Frage: Welche Lehren lassen sich aus diesen Erfahrungen für die heutige Arbeitswelt ziehen? Der Blick auf den VEB Robotron zeigt, dass berufliche Integration möglich ist – wenn Gesellschaft und Wirtschaft bereit sind, sich den individuellen Bedürfnissen anzupassen.

Tips, Hinweise oder Anregungen an Arne Petrich

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